K&K: Edizione Speciale III

Eine Amerikanische Tragödie (USA 1931)

Nach einer Vorlage von Theodore Dreiser, die zwanzig Jahre später unter dem Titel A Place in the Sun noch einmal das Licht der Leinwand erblicken sollte, erzählt Josef von Sternberg in Eine Amerikanische Tragödie die Geschichte des Emporkömmlings Clyde (Phillips Holmes), der sich seiner schwangeren Freundin entledigen will, als er sich in ein Mädchen aus reichem Hause verliebt.

Im Grunde ist aber schon “verliebt” eine Übertreibung, denn Clyde ist ein emotionsloses Wesen, ein farbloser Mann ohne Eigenschaften, dessen alleiniges Wesensmerkmal der Ehrgeiz ist. Clyde ist eine Missgeburt des amerikanischen Traumes.

Dass Sternbergs Kreativität nicht von der Anwesenheit einer gewissen deutschen Diva abhängig war, bewies das Festival in Bologna ein ums andere mal mit Filmen wie Unterwelt oder Im Hafen von New York.

Auf Grund ihrer uncharismatischen, ihrem Wesen nach langweiligen Hauptfigur und dem Ungleichgewicht zwischen dramatischer Haupthandlung und satirischem letzten Drittel blieb die amerikanische Tragödie jedoch eine der wenigen Enttäuschungen der Sternberg-Retrospektive.

Das waren noch Zeiten (USA 1966)

Good Times Wonderful Times lautet der Originaltitel von Lionel Rogosins Independentdoku. Besagte Zeiten werden im Verlauf des Antikriegsfilms von einem Veteran umschrieben und er meint nicht die Heimkehr von der Front.

Ganz dem Realismus verschrieben, kombiniert Rogosin die Bilder einer Londoner Cocktailparty mit Dokumentaraufnahmen des Schreckens. Da wechselt sich die Diskussion der Beatniks darüber, ob der Krieg nicht ein Mittel der natürlichen Auslese sei, mit Aufnahmen aus dem Warschauer Ghetto oder toter Soldaten an der Ostfront ab.

Ungeachtet der fragwürdigen Plakativität dieser simplen Gegenüberstellung muss Rogosin angerechnet werden, dass seine ungestellten Bilder zuweilen einen durch seine Wahrhaftigkeit unangenehmen Einblick in die menschliche Natur gewähren.

Gerade die Gesprächsthemen der gut situierten Mitdreißiger sind zeitlos. Würde man heute eine solche Party in Berlin, London oder sonstwo filmen, hätten sich die Argumente für den Krieg wohl nicht geändert und das ist nicht gerade eine beruhigende Feststellung.

Der Teufel ist eine Frau (USA 1935)

Von Sternbergs Lichtkugel umgeben wandelt Marlene Dietrich in Der Teufel ist ein Frau durch die spanischen Szenerien, während die von ihr besessenen Herren zunehmend im Schatten versinken.

Gleich dem Professor Rath, der einst der Sängerin Lola Lola mit fatalen Folgen verfiel, ergeht es 5 Jahre später Don Pasqual (Lionel Atwill) mit der unnahbaren Concha Perez (Marlene Dietrich). Ihr bedeuten die Männer nicht viel mehr als eine einzelne Luftschlange im spanischen Karneval. Diese Dame ist ein Kunstwesen, eine Ausgeburt der Obsession des Regisseurs Sternberg. Sie ist zugleich ein Eingeständnis der Niederlage und des Triumphes.

Pygmalions Skulptur ist endgültig erwacht und in die Irrealität einer filmischen Fantasiewelt hinaus getreten. Concha Perez ist der Kulminationspunkt des Schöpfungsaktes der Diva Dietrich. Befreit von menschlichen Gefühlen, einem Gewissen oder auch nur einer nachvollziehbaren Motivation, ist diese unwiderstehliche Schöne eine unbekümmerte femme fatale im wahrsten Sinne des Wortes.

Einher damit geht jedoch die Unfassbarkeit, die Unmöglichkeit des Besitzes, den sich ihre Liebhaber ungeachtet aller Rückschläge, aller Erniedrigungen erträumen, während sie blind dem Abgrund ihres Ruins entgegen schlittern. Oder nehmen sie ihn für ein paar vergängliche Momente mit ihrem Fantasiewesen wissend in Kauf?

Bei aller Dramatik zeichnet sich die letzte Zusammenarbeit der Diva mit ihrem Entdecker durch die Relativierung des melodramatischen Gehaltes aus, welche sich in Die Scharlachrote Kaiserin bereits im flapsigen Umgang mit der russischen Geschichte niederschlug.

Der drollige Gouverneur, dessen despotische Wichtigtuerei entlarvt wird, wenn er gegenüber Concha kleinlaut nachgibt und das temperamentvolle Spiel der Hauptdarstellerin sind symptomatisch für die eigentliche Natur dieses Films. Nichts weiter als ein Witz ist er, doch die Herren der Schöpfung wurden nicht eingeweiht.


Zum Weiterlesen:

 

Alle Einträge zum Festival in Bologna und den dort gesehenen Filmen.

K&K: Edizione Speciale II

The Great Consoler (UdSSR 1933)

Lew Kuleschows Vorliebe für amerikanische Sujets in seinen Spielfilmen setzt sich in The Great Consoler, seinen zweiten Tonfilm, fort. Im Amerika des Jahres 1899 schreibt der Häftling Bill Porter in seinen Geschichten Happy Ends für seine Mitgefangenen. Anstatt sich wegen der miserablen Haftbedingungen gegen die Gefängnisleitung schriftstellerisch aufzulehnen, mimt der feige Porter nur den großen Tröster.

Kuleschows Film kann zugleich als Plädoyer für die revolutionäre Funktion der Kunst und als Eingeständnis der eigenen Resignation gegenüber der stalinistischen Diktatur gesehen werden. Sind die an Stillleben erinnernden Bilder der ausgezerrten Gesichter der Häftlinge noch so effektiv, die Aufteilung der Handlung in drei Erzählstränge verhindert eine kohärente, d.h. in diesem Fall eine effektvolle Erzählung.

Zwar findet der Film im letzten Drittel, wenn es zum Aufstand der Häftlinge kommt, zu seinem eigentlichen Thema zurück. Der als Stummfilm gestaltete Mittelteil, der eine von Porters Geschichten darstellt, ist allerdings viel zu lang und nichtssagend geraten.

Die Konzentration auf die Physiognomie der inhaftierten Hauptfiguren, die oftmals erstarrt ins Leere blicken, lässt The Great Consoler zäh erscheinen. Kuleschows Vertrauen auf die Ausdrucksstärke dieser Bilder und sein damit einhergehender Verzicht auf die eigentliche Schilderung der Haftbedingungen, machen das Experiment des neuen Schauspielertyps, des naturshchiks, schlussendlich dennoch zum Erfolg.

Jeder Teil des menschlichen Körpers müsse dabei als Modul behandelt werden, das in Kombination mit anderen zu einer komplexen Pose wird. Diese von der Gefangenschaft erdrückten Posen sind letztendlich aussagekräftiger als jede Aufnahme madiger Mahlzeiten.

Auf eigene Faust (USA 1959)

Diesen CinemaScope-Film im Kino zu sehen, ist ein 3-D-Erlebnis der Extraklasse. Alle Vegetationsformen geht Budd Boetticher in Auf eigene Faust (Ride Lonesome) durch. Es gibt Schießereien zu Pferde zwischen Dünen, Ritte (zu Pferde) durch Wälder und endlose Dialogszenen (zu Pferde und ohne Schnitt) vor dem Hintergrund einer felsigen Steinwüste, deren plastische Wiedergabe noch immer beeindruckt. Dass der Film übliche Westernkonventionen umgeht, ist dabei fast nebensächlich.

Eine zufällig zusammengewürfelte Gruppe (u.a. Randolph Scott, James Coburn und Pernell Roberts) eskortiert einen Mörder zum Galgen. Jeder hat natürlich seine eigenen Motive dafür, welche nicht unbedingt dem Wohle der Begleiter dienen. Die entstehende Gruppendynamik dominiert auf Grund dessen die Narration. Der eigentliche Bösewicht (Lee Van Cleef) bleibt nur eine Randnotiz.

Mit seinen 70 Minuten Spielzeit leidet der Film nicht weiter unter den langen Dialogen. Die Psychospielchen der Reisegesellschaft sorgen meist für ungetrübte Unterhaltung, auch wenn die einzige Frauenfigur im Film fast lächerlich auf feminin getrimmt wirkt. Ist die Wahl des Schlussstriches der einfache Weg zum Abspann, so doch nur, weil der Plot nicht ergiebiger ist. Das stört nicht weiter, stellen doch Boettichers Ausnutzung des CinemaScope-Formates und die sehenswerten (männlichen) Darsteller jeden Westernfan zufrieden.

Lola Montès (F/D 1955)

Auch wenn Max Ophüls’ Lola Montès zuweilen Gefahr läuft, sich in melodramatischen Männergeschichten zu verlieren, ist das Werk doch einer der größten Filme aller Zeiten.

Die Art und Weise, wie Ophüls in dieser Ausstattungsorgie das CinemaScope- Format ausnutzt, raubt auch dem abgeklärtesten Zuschauer den Atem.

Peter Ustinov führt uns in der Manege seines Zirkus’ durch die Lebensgeschichte der Kurtisane Lola Montès, Geliebte u.a. des bayrischen Königs Ludwig I. (Anton Walbrook). In Flashbacks sehen wir ihren Aufstieg und Fall, während die gesundheitlich geschwächte Lola (Martine Carol) Kostüm für Kostüm wechselt, um in einem perversen Akt der Selbsterniedrigung ihr gescheitertes Leben für die neugierige Öffentlichkeit unter dem Zirkuszelt nachzustellen.

Ausgedehnte Kamerafahrten, die unserer Heldin beim abstrakten Balanceakt im Zirkuszelt, wie im wirklichen Leben folgen, der detailversessene Perfektionismus in Ausstattung und Inszenierung lassen den modernen Zuschauer nachvollziehen, warum später Stanley Kubrick Ophüls als künstlerischen Einfluss nennen sollte.

Daher lädt Lola Montès zum Vergleich mit dem 20 Jahre später entstandenen Barry Lyndon ein. Ustinov fungiert im Grunde als düstere Version des Erzählers aus Kubricks Film, welcher vom Aufstieg und Niedergang eines Mannes handelte, dessen Lebensweg durch Europa und dessen politische Verwicklungen führt.

Im Gegensatz zur eher an literarischen Gestaltungsformen orientierten Erzählung in Barry Lyndon, erlangt Lola Montès eine ungebrochene Modernität durch die Handlungsrahmung des Zirkus, der einen artifiziellen Überbau des Geschehens darstellt.

Wenn wir die Eskapaden einer Amy Winehouse mit einer makaberen Distanziertheit am heimischen Bildschirm verfolgen, scheint der Schritt zum für die gaffenden Massen präsentierten Untergang der Kurtisane nicht weit.

Nicht zufällig ist die Zirkusmanege von einem kühlen, blauen Licht erfüllt. Sie strahlt eine gespenstische Aura aus, als würde man aus der Unterwelt einen Blick ins vergangene Leben werfen. Diese Zirkusmanege ist der morbide Leinwandersatz, das Äquivalent zum Fernsehbildschirm heute.


Zum Weiterlesen:

 

Alle Beiträge zum Festival Il Cinema Ritrovato in Bologna.
Ein erhellender Text über Lola Montès von Rodney Hill.
David Bordwells und Kristin Thompsons Eindrücke vom Festival in Bologna und von den Filmen Lew Kuleschows.

K&K: Edizione Speciale I

Eigentlich verdient jeder auf dem Festival in Bologna gezeigte Film eine ausführliche Kritik. Dem ein oder anderen werde ich hier auch etwas mehr Zeit widmen. Vorerst beschränken sich die Ausführungen aber auf einen mehrteiligen Überblick der beim Cinema Ritrovato gesehenen Filme. Auf Los geht’s los…

Marlene Dietrich in Blonde Venus Blonde Venus (USA 1932)

Marlene Dietrich spielt in ihrem fünften Sternberg-Film zum wiederholten Male eine Nachtclubsängerin, die hier ihren Job für Mann und Kind an den Nagel gehängt hat. Während ihr Ehemann Ned (Herbert Marshall) aus Gesundheitsgründen nach Europa reist, lernt sie den reichen Nick (ein junger Cary Grant) kennen. Als Ned von ihrer Untreue erfährt, flieht die “Blonde Venus” mit ihrem Sohn in den Süden der USA.

Wenn Ned vor dem vom Schatten zersplitterten Hintergrund, das Gesicht ins Dunkel getaucht, seiner untreuen Frau gegenübersteht, ist das Sternbergs Ästhetizismus in seiner Reinkultur. Vergleiche zum Expressionismus der 20er sind angebracht, doch Sternbergs Vermögen mit dem Licht das melodramatische Geschehen auszumalen, kann nicht auf die Integration in irgendeine Filmtradition reduziert werden. Seine später auf dem Festival gezeigten Filme beweisen: Sternbergs Licht- und Schattengestaltung, sein Einsatz des detaillierten Dekors sind einmalig.

Unvergesslich auch die Nummer Hot Voodoo, in deren Verlauf sich die Dietrich aus einem Gorillakostüm schält und damit die scheinbare Stärke ihrer am Ende stets ergebenen Filmmänner bloßlegt. Eine erstaunlich menschliche Komponente für einen Sternberg bildet dagegen die enge Beziehung von Mutter und Sohn, die jede Liebelei überdauert.

Die Seltsamen Abenteuer des Mr. West im Lande der Bolschewiki

Die Seltsamen Abenteuer des Mr. West im Lande der Bolschewiki (UdSSR 1924)

So absurd der Titel auch erscheint, getoppt wird er durch die Story des ersten Spielfilms von Lew Kuleschow. Sein berühmtes Montageexperiment kennt jeder Filmstudent, seine Spielfilme dagegen sind weitestgehend vergessen. Mr. West ist da noch sein bekanntestes Werk, vielleicht auch sein unterhaltsamstes. Kuleschow, der fasziniert war vom amerikanischen Unterhaltungskino, brachte diesen Film im Todesjahr Lenins, kurz nach Ende des Bürgerkrieges heraus.

Den Titelhelden Mr. West, dessen Äußeres mit der großen, runden Brille verdächtig an Harold Lloyd erinnert, verschlägt es in die Sowjetunion. Mit Vorurteilen über die “barbarische” Bevölkerung beladen, trifft er auf eine gewiefte Verbrecherbande, während sein Bodyguard, der Cowboy Jeddy, sich durch die Stadt prügelt und ballert, so dass der ein oder andere Passant schon mal per Lasso am Laternenpfahl endet.

Natürlich nimmt Kuleschow hier Amerikas Bild im Rest der Welt auf die Schippe, doch geschieht das auf eine liebevolle Art. Mr. West in seiner naiven Großäugigkeit ist ein Sympathieträger, gleichsam Jeddy, der sich, seiner anarchischen Art entsprechend, an Kabeln über Häuserschluchten hangelt und für etliche andere Schauwerte sorgt. Satire und Hommage zugleich sind die Abenteuer des Mr. West.

Sie offenbaren dank ihres Verzichts auf eine platte dialektische Vorgehensweise zeitnaher Filme eine andere Seite des sowjetischen Films. Sie verweisen auf eine Lust am Überschwang, an der Ironie, die zehn Jahre später nicht nur aus dem Werk des Regisseurs verschwinden sollte.

Clive Brook in UnterweltUnterwelt (USA 1927)

Sternbergs erstes Stummfilmmeisterwerk wird gern als Vorläufer der Gangsterfilme der dreißiger Jahre gesehen. Abgesehen von solchen filmhistorischen Ritterschlägen ist Underworld (so der Originaltitel) einer der wenigen Sternberg-Filme, dessen männliche Protagonisten eine Wandlung durchmachen.

Der joviale Unterweltboss Bull Weed (George Bancroft) erscheint zu Beginn mit seiner bulligen Statur und seinen ausgeprägten Lachattaken wie eine Karikatur, ein Cartoon. Fehlt nur noch eine riesige Zigarre und ein Nadelstreifenanzug. Das in diesem Film nicht jeder Mensch dem ersten Eindruck entspricht, verdeutlicht schon die Wandlung des Säufers Rolls Royce (Clive Brook) unter den Fittichen des Bosses zum Gentleman. Prompt verliebt er sich in Feathers (Evelyn Brent), die Freundin seines Gönners.

Die recht einfach gestrickte Eifersuchtsstory gerät durch den moralischen Konflikt der Liebenden gegenüber ihres Freundes zwar zu keiner Charakterstudie. Die weitgehende Unvorhersehbarkeit des Endes deutet aber auf eine vergleichsweise komplexe Figurenzeichnung hin, die in Bancroft und Brook dankbare Projektionsflächen für die zahlreichen Großaufnahmen findet.

Wie immer bei einem Sternberg sind Belanglosigkeiten, wie Figuren oder Story, auch hier nicht der Kern der Sache. Der Regisseur profiliert sich wieder einmal durch seine formale Gestaltung, besonders in den Gefängnisszenen. Wichtiger noch sind diese typisch Sternberg’schen Momente, die durch ihre Intensität den Zuschauer vollkommen überrumpeln.

In diesem Film ist eindeutig die große Party das Highlight, ein Motiv, das später z.B. in The Devil is a Woman wieder auftauchen würde. Die rapide Schnittfolge der Großaufnahmen, die den Rausch versinnbildlicht, wird gefolgt vom betrunkenen Bull Weed, der in Rage durch die Konfettiwüste stampft. Selbst ein nur durchschnittlicher Film hätte durch diese Sequenz an Niveau gewonnen. Allein auf eine herausragende Sequenz zu setzen, hat Sternberg, im Gegensatz zu einigen Kollegen hier nur nicht nötig. Im Nachhinein bleibt Underworld gerade deswegen mein liebster Film des Regisseurs im Festivalprogramm.


Zum Weiterlesen:

 

Il Cinema Ritrovato in Bologna 2008.
Eine Erklärung des berühmten Kuleschow-Effektes, der die Sinnbildung durch das Aneinanderfügen von Bildern nachwies, d.h. das Grundprinzip der Montage.
Ein kurzer Text über Unterwelt von Kristin Thompson.

Kurtz & Knapp II

Der Eiskalte Engel (F/I 1967):

Sicher wurde noch nicht alles über diesen Film gesagt, doch an dieser Stelle erscheint mir eine ellenlange Kritik als redundantes Unterfangen, das nichts neues mehr preisgeben kann. Dieser Film gehört zum Pflichtstoff eines jeden Cineasten. Alain Delon glänzt in einer seiner besten Rollen als Profikiller Jeff Costello, der von der Polizei und den eigenen Auftraggebern zur Strecke gebracht werden soll.

Jean-Pierre Melvilles Film ist in seiner kalten Stilsicherheit ein Archetypus des modernen Gangsterfilms, der Regisseure, wie Martin Scorsese, John Woo oder Johnnie To beeinflusst hat. Unverständlich ist einzig, dass dieser Film in Deutschland bisher keine DVD-Auswertung erfahren hat.

Verführung (GB/USA/F 1995):

Eine der weniger bekannten Jane Austen-Verfilmungen nach dem Roman Persuasion, die ursprünglich für das britische Fernsehen gedreht wurde, was man ihr leider auch anmerkt. Die Inszenierung samt verstärktem Handkameraeinsatz ist zwar recht ungewöhnlich, wirkt in der ersten Hälfte aber zu behäbig, um zum Vergleich mit den großen Kinoverfilmungen der letzten Jahre – Sinn und Sinnlichkeit (1995) und Stolz und Vorurteil (2005) – überhaupt einzuladen. Einzig die unbestreitbare Chemie zwischen den beiden Hauptdarstellern – Ciarán Hinds (der Caesar in der TV-Serie Rom) und Amanda Root (Jane Eyre) – hält vom Wegdösen bei Tageslicht ab.

Chungking Express (HK 1994):

Noch so ein Film, über den man ganze Bücher schreiben kann. Für Filmwissenschaftler interessant ist sein Umgang mit (erlebter) Zeit, gerade im Kontext der nahenden Rückgabe Hongkongs an China. Wong Kar-Wais Film ist damit ein Paradebeispiel all jener Autoren, die am 1997-Syndrom hängen, wie der vergammelte Post-it an der Bürotrennwand. Alle anderen ergötzen sich an der visuellen Gestaltung und den extravaganten Dialogpartnern, von Kuscheltieren und Seifenresten bis hin zu Handtüchern. Ein Film, der ein Lächeln auf die traurigsten Lippen zaubert.

Organized Crime & Triad Bureau (HK 1994):

An sich ein konventioneller Hongkong-Actioner von Kirk Wong (Crime Story), der sich allerdings durch seine ausgewogene Figurenzeichnung von vielen seiner Genrekollegen abhebt. Danny Lee (The Killer) spielt – wie wohl in jedem anderen seiner Filme auch – einen Cop, der diesmal auch vor der Misshandlung von Gefangenen nicht zurückschreckt, um seine Ermittlungen voranzubringen. Anthony Wong (Infernal Affairs) gibt – wie so oft in den 90ern – den Bösewicht, doch ist er ausnahmsweise nicht der metzelnde Psycho, sondern ein liebender Vater, loyaler Bandenchef und rücksichtsloser Verbrecher.

Schwarz und Weiß gibt es hier nicht. Unsere Sympathien schwanken stets zwischen den brutalen Vertretern von Recht und Ordnung und den wie die Tiere gehetzten Gangstern. Allesamt sind sie Menschen, nicht nur Typen. So hinterlässt das an Heat erinnernde Finale nach dem Abspann ein Gefühl, als hätte die Lieblingsmannschaft ein Spiel gewonnen. Und dennoch ist man bedrückt.

Brotherhood (ROK 2004):

Ein koreanischer Soldat James Ryan soll Brotherhood sein. Das ist Segen und Fluch zugleich. Segen, weil das koreanische Kino sich seit einigen Jahren hinsichtlich des technischen Aufwandes auch vor Hollywood nicht verstecken muss. Fluch, weil die pathetische Erzählung über zwei Brüder in den Wirren des Koreakrieges alle gängigen Erwartungen an das Hollywoodkino bedient. Innovativ oder sehenswert wird ein Film dadurch nicht.

Kurtz & Knapp

Dog Bite Dog (HK 2006):

Ein geradezu apokalyptisch düsterer Thriller, dessen Protagonisten sich wie tollwütige Hunde durch die dreckigen Straßen Hongkongs jagen, ohne Rücksicht auf Verluste oder unsere Sympathie. Brutal, pessimistisch, handwerklich perfekt. Eine ausführliche Kritik wird folgen.

Die Spielwütigen (D 2004):

Eine Doku, die den Weg von vier Menschen zur Schauspielerei verfolgt. Von der Bewerbung an der Schauspielschule bis zum Abschluss. Ganz nah ist die Kamera dran am Geschehen, stets haben wir die Frage auf den Lippen: Werden auch die vier gebrochen werden? Seltsam nur, dass sie selbst bei den Interviews zu spielen scheinen, besonders wenn die Kamera minutenlang auf den Gesichtern verweilt, nachdem alles gesagt ist. Das tut sie leider viel zu oft.

Just One Look (HK 2002):

Oberflächlich gesehen ein Vehikel für Teenie-Idole, wie die Twins und Shawn Yue (Infernal Affairs I + II) ist Just One Look in Wirklichkeit eine Liebeserklärung des Regisseurs Riley Yip (Metade Fumaca) an das Hongkong Kino der 70er Jahre. Eine Coming-of-Age-Ballade, die mit dramatischen ebenso wie surrealistischen Zügen glänzt, in der die Realtität bald von der Filmwelt nicht mehr zu unterscheiden ist. Auch hier wird’s eine ordentliche Kritik geben.

Ravenous (CZ/GB/USA 1999):

Gott, was war das denn? Ein Kannibalenfilm mit schwarzhumorigen Elementen, der im Amerika des 19. Jahrhunderts spielt und uns irgendwas über die Natur des Menschen, des amerikanischen Staates oder die stärkende Kraft von Menschenfleisch erzählen will. Neben Guy Pearce zeigt Robert Carlyle mal wieder sein schrecklichstes Overacting. So ein Müll!

Ebola Syndrome (HK 1996):

Ok, dieser Film ist eigentlich auch Müll, aber da Anthony Wong mitspielt kriegt er von mir schon mal eine Trillion mehr Punkte als Ravenous. Ein fieses, ekelhaftes Arschloch namens Kai (Mr. Wong) wird nach der Vergewaltigung einer sterbenden Afrikanerin (!) zum Träger des Ebola-Viruses. Was nun folgt, darf sich getrost als Klassiker des schlechten Geschmacks bezeichnen. Kai verbreitet nämlich fröhlich das Virus in Hongkong und überall brechen wild zuckend Menschen zusammen. Dieser Film nimmt sich überhaupt nicht ernst – und macht deswegen einen Heidenspaß. (Auch für den wird es natürlich eine Kritik geben)