Kurtz & Knapp: Kung Fu Panda 2, X-Men: Erste Entscheidung & Beginners

Ganz nach dem Motto “zu viele Filme, zu wenig Zeit” gibt es mal wieder ein paar kurze Notizen zu drei aktuellen Kinofilmen.

X-Men: Erste Entscheidung (USA 2011)

Die X-Men bieten seit ihrer Schöpfung die wunderbare Möglichkeit, aktuellen gesellschaftlichen Konflikten einen Spiegel in Comicform vorzuhalten. Dem war sich Bryan Singer vor rund zehn Jahren bewusst, als er mit dem ersten X-Men-Film die Schwemme von Superheldenstreifen in Gang setzte. Dafür hat wiederum der von ihm produzierte “X-Men: Erste Entscheidung” vom geek-freundlichen Hollywood-Handwerker Matthew Vaughn keinerlei Sinn oder auch nur Interesse. Als amüsante Zeitreise in die frühen 60er Jahre macht das offensichtlich schnell zusammen gezimmerte Prequel durchaus Spaß. Gerade die Dynamik, die durch die Kombination von Erik Lehnsherr (Michael Fassbender) mit seinem Teufelchen auf der einen (Kevin Bacon als Sebastian Shaw) und Engelchen auf der anderen Schulter (James McAvoy als Charles Xavier) entsteht, verleiht dem Film eine gewisse schauspielerische Tiefe. Fassbender schreit hier in mehreren Sprachen nach weiteren A-List-Hauptrollen und am besten einem Franchise ganz für ihn allein. Ebenso beeindrucken Nicholas Hoult und Jennifer Lawrence als Beast und Mystique. Doch schlussendlich ist “X-Men: Erste Entscheidung” eben nicht mehr als flüchtige Unterhaltung. Die tauscht eine logisch erscheinende Einarbeitung zeitgenössischer Brennpunkte (Bürgerrechtsbewegung, anyone?) gegen die fiktive Lösung der Kuba-Krise. X-Men: Erste Entscheidung ist deswegen weniger ein echtes Prequel, als ein X-Men-Film durch das Prisma eines James Bond-Films gesehen, mitsamt des hier besonders übel aufstoßenden Sexismus.

Beginners (USA 2010)

Entgegen aller Versuche von Regisseur und Drehbuchautor Mike Mills, seinen eigenen Film zu sabotieren, ist “Beginners” am Ende doch ein berührendes Kinoerlebnis. Ein alter Herr hat ein spätes Coming-out, sein Sohn muss eine schwierige Beziehung meistern. Wer hätte gedacht, dass man aus diesen Zutaten eine dermaßen komplizierte, teilweise wahllos zusammen geworfene Narration basteln kann. Grundsätzlich bin ich keine Fetischistin linearer Narration, aber die Methode des Mike Mills (Thumbsucker) hat etwas entnervendes. Wenn man Beginners schaut, beschleicht einem das Gefühl, eine gute Tragikomödie vor sich zu haben, die leider von den vielen quirky Ideen seines Machers vergraben wurde. Hier und da blitzt ein funkelndes Stück Film auf, doch dann wird es auch wieder schnell vom kreativen Treibsand des Mike Mills verschluckt. Nimmt das Drama an Fahrt auf, glaubt man einer eindringlichen Szene beizuwohnen, schneidet Mills weg zu einer belanglosen und/oder sich in der Traurigkeit suhlenden Episode, die dem Film auch nicht weiter hilft. Am Ende retten die Schauspieler den Tag, die da heißen Christopher Plummer, Ewan McGregor und Mélanie Laurent. Letztere wird zwar zur süßen Projektionsfläche von McGregor degradiert, findet aber glücklicherweise genug Luft zum atmen, um die düsteren Seiten ihrer sprunghaften Figur anzudeuten.

Kung Fu Panda 2 (USA 2011)

Seltsamerweise ist die augenscheinlich generische Fortsetzung des Hits von Dreamworks Animation der beste der drei hier beschriebenen Filme. Der erste Teil war schon ein Augenschmaus für Fans klassischer Kung Fu- und wuxia-Filme. “Kung Fu Panda 2” bietet zudem eine komplexere Story. Der von Gary Oldman gesprochene böse Pfau bewegt sich schließlich in einem echten Kreislauf der Gewalt, ausgelöst durch eine Entscheidung, welche die Tragweite einer griechischen Tragödie besitzt. Ansonsten springt der Film von Jennifer Yuh gekonnt zwischen der 3D-Gegenwart und der 2D-Vergangenheit hin und her. Chinesische Landschaft und Kultur werden in ihrer visuellen Pracht auf eine Weise verehrt, wie man es in amerikanischen Filmen normalerweise nicht zu sehen bekommt. Denn statt auf selbstverliebte Exotik und Popkultur-Witzchen zu zählen, ist “Kung Fu Panda 2” ein gelungenes Actionabenteuer geworden, das den Vorgänger in jeder Hinsicht übertrifft. Höchstens die tierischen Nebendarsteller hätten noch etwas mehr Aufmerksamkeit bedurft. Bei moviepilot habe ich sieben unschlagbare Gründe für Kung Fu Panda 2 versammelt. Das Wort “awesome” kommt zumindest im Artikel nicht vor.

Kontrapunkt: Charles Bronson und Michael Winner

Eine fruchtbare Zusammenarbeit über einen Zeitraum von 15 Jahren und sechs Filme weisen Charles Bronson und Regisseur Michael Winner vor und trotz ähnlicher Stories und Charaktere gibt es einige Unterschiede.

Kalter Hauch (USA 1972)

Nach „Chatos Land“ inszenierte Michael Winner hier zum zweiten Mal den skrupellosen Outlaw Charles Bronson. Allerdings noch nicht als Vigilant, sondern als eiskalten Profikiller mit Namen Arthur Bishop. Dieser bereitet seine Morde akribisch vor, lässt sie wie Unfälle aussehen. Eines Tages bekommt er Unterstützung von Steve (Jan-Michael Vincent), der schließlich den Auftrag bekommt, Arthur zu töten. Die Inszenierung von Winner wirkt sprunghaft und durch kurze Einstellungslängen verknappt, quetscht viele narrative Ellipsen wie Arthurs Verhältnis zu Frauen und Training/Taktik sowie eine überraschende Pointe in den dramaturgisch wie kameratechnisch (Zooms!!!) etwas holprigen Film, der das Potenzial des Konflikts zwischen den beiden Killern nicht ausschöpft. Inhaltlich lässt sich der erst im letzten Drittel Tempo entwickelnde Killerthriller als Allegorie auf den rechtsfreien Raum im Vietnamkrieg deuten, worauf ich auch in meiner bald beim MANIFEST erscheinenden Kritik hingewiesen habe.

Ein Mann sieht rot (USA 1974)

Der Klassiker des Revenge-Thrillers! Nachdem bei einem Überfall seine Frau stirbt und seine Tochter ein Fall für die Psychiatrie wird, greift der gewissenhafte Architekt und ehemalige Koreakrieg-Sanitäter Paul Kersey (Charles Bronson) notgedrungen selbst zur Waffe. Die Polizei erweist sich als ohnmächtig gegen das Verbrechen in New York. Ein Vigilant, der ganz in Sheriff-Manier für Ordnung in den Straßen sorgt, wird gebraucht. Die sich aufdrängende Western-Analogie wird durch einen Besuch Kerseys im ländlichen Arizona manifestiert, bei dem er Zeuge eines Waffenfetischs unter Viehzüchtern wird. Das Funktionieren des Staatssystems wird infrage gestellt, einer zynischen Moral der notwendigen Repression durch überbordende Waffengewalt, um Ordnung wieder herzustellen, gehuldigt. Diese Verherrlichung der Selbstjustiz ist in Reaktion auf „Watergate“ (die Fehlbarkeit des Staates und Rückbesinnung auf uramerikanische „Tugenden“) ebenso subversiv wie reaktionär, aber solide inszeniert. Insbesondere die nur schwer zu ertragende, drastische Überfall-Szene durch eine Bande von Vergewaltigern und Dieben (Jeff Goldblum in einer seiner frühen Rollen!) bleibt im Gedächtnis haften.

Death Wish 3 – Der Rächer von New York (USA 1985)

Die letzte Zusammenarbeit zwischen Bronson und Winner wärmt die Geschichte von Teil eins wieder auf, ohne ihr abseits von Brutalitäten etwas Nennenswertes hinzuzufügen. Kersey (Charles Bronson) kehrt nach New York zurück, will einem Freund im Kampf gegen eine marodierende Bande unterstützen, doch der stirbt vor seinen Augen, weswegen er und seine Nachbarn in dem heruntergekommenen Viertel Rache schwören. Selten wurden in den ersten fünf Filmminuten so viele Anteile der Filmhandlung schon erzählt wie in „Death Wish 3“, der danach mit einigen Morden, Shoot-Outs, und Prügeleien durchaus zu unterhalten, aber nicht in die Tiefe zu gehen vermag. Einige Male nahezu hektisch geschnitten, fällt die in ihren eruptiven Zügen beinahe exploitativ inszenierte Gewalt, die im actionreichen Finale bürgerkriegsähnlichen Zuständen ähnelt, negativ auf. Ein Vertrag mit Waffenherstellern ist aufgrund Bronsons phallischer Waffe (.475 Wildey Magnum) und der Entstehung unter Reagans Präsidentschaft allzu offensichtlich. Dabei durfte natürlich eine alberne, implementierte Affäre zwischen dem erstaunlich rüstigen Über-60-Jährigen und der kernigen Anwältin nicht fehlen – ein widerlicher, leidenschaftsloser Filmkuss inklusive.

Kontrapunkt: Trash X

Jubiläum! Noch ist die magische Zahl 30 nicht erreicht, aber ich verspreche, dann wird es ob der römischen Zahl heiß hergehen! Hier erst einmal mit Laura Gemser, Billy Zane und Anna Faris eher durchwachsen.

Private Collections (F/J 1979)

Man nehme drei erfahrene Erotik-Regisseure, versammle sie in einem Projekt, gebe die Anweisung „Macht mal was zum Thema Traum!“ und staune, was dabei herauskommt. Während Episode eins mit einem male pig auf einer exotischen Insel, der von lüsternen Amazonen (darunter Laura „Black Emanuelle“ Gemser) umsorgt wird, einfach nur mies und trashig hoch 3 ist, ist die folgende um ein japanisches Kinderlied und einen Mutterkomplex einfach nur „hä?“ und die dritte um eine Kurzgeschichte nach Guy de Maupassant um einen Freier hinter den Kulissen eines Tanztheaters im ausgehenden 19. Jahrhundert merkwürdig blutleer. Just Jaeckin schwelgt mit seinem Segment L’île aux sirènes in hübsch fotografierten Oberflächlichkeiten inklusive obligatorischer Weichzeichner-Ästhetik, Shûji Terayama verstört in Kusa-Meikyu mit narrativen wie bildlichen Rätselhaftigkeiten und Walerian Borowczyk zaubert in L’armoire immerhin ein hübsches impressionistisches Zeitkolorit. Das alles ist nett, aber passt auch mangels Botschaft einfach nicht wirklich zusammen. Beim MANIFEST sind meine Ausführungen etwas detailierter.

Perfect Hideout (D 2008)

Billy Zane als cooler Killer, der alles niedermäht, was sich ihm in den Weg stellt – das  suggeriert zumindest das Cover dieser günstig in Berlin gedrehten DVD-Premiere in TV-Optik. Doch die Geschichte um ein Gangsterpärchen auf der Flucht, welches zufällig in dem Haus landet, wo ein Serienkiller (Zane) gerade eine ganze Familie abgemeuchelt hat, ist äußerst konstruiert. Das wäre aber nicht so schlimm, würde das Duo nicht haarsträubend dumm handeln, wenn ein Killer im Haus sitzt (immerhin haben sie ihn schon gefesselt!) und das SEK vor der Tür steht. Dumme, überlange Dialoge, eine beknackte Szenenregie, viel zu wenig Actionsequenzen, kaum Spannung, viel Langeweile. Der lustlos grimassierende Billy Zane, der wahrscheinlich gerade mal zufällig für 2 Wochen in Deutschland war und dringend Geld brauchte, spielt dennoch den Rest des austauschbaren Casts locker an die Wand. Das perfekte Geheimversteck für diesen zu Recht lange zurückgehaltenen Thrillermüll ist das hinterste Videothekenregal!

Smiley Face – Was für ein Trip (USA/D 2007)

Kifferin Jane F. (Anna Faris) hat es schon nicht leicht: Ein Vorsprechen steht an, sie hat Geldsorgen und die Hasch-Muffins ihres Mitbewohners vertilgt. Ein abenteuerlicher Trip steht ihr bevor, der sie bis auf ein Hanffestival nach Venice führt und den Zuschauer bis dahin mit Texteinblendungen um die Aufgabenagenda, einen überflüssigen, sporadisch einsetzenden Off-Kommentator oder mit verwirrenden, nur selten witzigen Traumsequenzen nervt. Die Kifferkomödie „Smiley Face“ ist wie ein Witz, bei dem sich der Erzähler verhaspelt: Eine vielversprechende Ausgangssituation, man beginnt zu schmunzeln, aber der echte Lachflash setzt mangels Rhetorik (hier: mangels origineller visueller Einfälle) nicht ein. Die grimassierende Anna Faris ist sich auch mit ständig offenstehendem Mund nicht für peinlichen Slapstick zu schade und das pseudo-polemische Ende, an dem die zuvor angedeutete Referenz an „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ dann wieder durchbricht, ist wirklich zuviel des Guten. Soviel oberflächliche Dummbrot-Blödelei ist man von Gregg Araki („Kaboom“) gar nicht gewohnt, auch wenn die Klassenkampf-Rezitation aus dem “Manifest der Kommunistischen Partei“ insbesondere für Soziologie-Studenten ganz interessant sein dürfte.

Kontrapunkt: Berlinale 2011

Vom 17. bis 20. Februar weilte ich in Berlin zum größten Publikums-Filmfestival der Welt. Neben den folgenden Kritiken sei Folgendes resümierend notiert:
1.) „Berlinale Shorts“ sind zu 75% gewöhnungsbedürftig, was die Filmauswahl angeht.
2.) Filme nur aufgrund ihres Handlungsortes (Berlin) aufzuführen, ist kein Argument.
3.) Etwas weniger International- und mehr Glamour-Politik würde bei der Filmauswahl nicht schaden.

Rundskop (B 2011)
Bullhead
, Sektion: Panorama

Von einer nichtsnutzigen, ihre Kinder verziehenden Alkoholikerfamilie, die in „Die Beschissenheit der Dinge“ nur Unsinn im Kopf hat, über eine Band in „Ex Drummer“, dessen Mitglieder kranke, abgestumpfte Familienmitglieder daheim haben und perverse sexuelle Veranlagungen aufweisen bis hin zum am Asperger-Syndrom leidenden Online-Rollenspieler in „Ben X“: Menschliche Abgründe und schwelende Ängste sind im belgischen Kino jüngeren Datums keine Seltenheit. So auch nicht in „Rundskop“, hinter dessen spannender Thrillerfassade sich ein tiefgreifendes Psychodrama verbirgt. Viehzüchter Jacky (Matthias Schoenartz) hat nach einer schicksalsträchtigen Auseinandersetzung in seiner Kindheit (welch verstörende Sequenz!) seiner Männlichkeit und mit Hormonen zu kämpfen, die er nicht nur seinen Tieren verabreicht. Mit dem eigenen zum Scheitern verurteilten sexuellen Begehren und den Machenschaften der Hormonmafia konfrontiert, gerät er in einen tödlichen Strudel aus Fleisch, Gewalt und Tod. Einige einen Kult an der Körperlichkeit abfeiernde Nahaufnahmen (auch in Zeitlupe) atmen in dem etwas inhaltsarmen Langfilmdebüt von Videoclip-Regisseur Michael R. Roskam eine archaische visuelle Kraft, welche ebenso wie die schwermütige Streichermusik meist das düstere, jederzeit entfesselbare, aggressive Temperament der Hauptfigur greifbar macht, ab und an jedoch etwas zu bedeutungsschwanger daherkommt. Ein zum Teil verstörend gewalttätiges Spiegelbild männlicher Urgewalt. Intensiv spürbares, physisches Kino in Reinkultur!

Lipstikka (IL/GB 2010)
Odem
, Sektion: Wettbewerb

Dass es nicht unbedingt einen Karriereexodus darstellen muss, wenn man in seiner Jugend in einer peinlichen Erotikklamauk-Reihe schauspielerisch begonnen hat, beweisen Heiner Lauterbach mit diversen „Schulmädchen-Report“-Auftritten und Jonathan Sagall, der in allen acht „Eis am Stiel“-Filmen mitwirkte. In seinem Langfilmdebüt „Kesher Ir“ und auch mit „Lipstikka“ blieb er dem Sujet zwischenmenschlicher Sexualbeziehungen zwar treu – jedoch stets auf dem Niveau einer gewichtigen Auseinandersetzung. Mit geschickt eingesetzten, zahlreichen Rückblenden erzählt er hier die Geschichte zweier palästinensischer Frauen, die in Ramallah zusammen zur Schule gehen, sich anfreunden, ineinander verlieben, sich trennen und schließlich Jahre später in London wieder aufeinander treffen. Doch während die ehemals schüchterne Lara (Clara Khoury) in einer scheinbar glücklichen, aber von Körperlichkeiten freien Ehe liebt, sucht die freimütige Inam (Nataly Attiya) immer noch nach Halt und Sicherheit im Leben. Prägend für beide ist die abweichende Erinnerung an eine Begebenheit in Jerusalem mit zwei israelischen Soldaten während der ersten Intifada. Subtil und leise, aber dennoch aufwühlend und verstörend fernab jeglicher Romantik erzählt Sagall eine traumatische Geschichte, die die Leben der beiden Frauen auf verschiedene Arten zerstörte. Ein schweres Thema und ein Film, der in Israel hitzige Debatten auslöste, aber in ausgeblichenen Bildern unprätentiös umgesetzt.

Life in a Day (USA 2011)
Das Leben in einem Tag
, Sektion: Panorama

Ca. 4600 Stunden von Privatpersonen eingesandtes, selbstgedrehtes Videomaterial wurde für dieses filmische Experiment gesichtet, knapp 90 Minuten davon schafften es in diese Aneinanderreihung kurzer Alltagepisoden verschiedener Menschen am 24. Juli 2010. Ist Regisseur Kevin Macdonald seit „The Last King of Scotland“ schon kein Unbekannter mehr, so sind es Produzent Ridley Scott und die Internetseite YouTube, die als Förderer auftritt, noch viel weniger. Umso weniger verwundert es, dass diese Homevideo-Kompilation nicht nur durch die Einsendungen, sondern auch von außen strukturiert wurde. Professionelle Kamerateams wurden für Zeitraffer von Naturaufnahmen und Statements an die entlegensten und internetfreiesten Winkel der Erde geschickt, drei zu beantwortende Fragen strukturieren den mal thematisch, mal assoziativ montierten Film. Dass suggestive pathetische Musik insbesondere im letzten Teil („Wovor hast du Angst?“) besonders auffällig eingesetzt wird und somit den ohnehin beklemmenden Handyvideos der letztjährigen Loveparade-Katastrophe eine fröstelnd emotionale Dimension hinzufügt, ist dabei jedoch nach dem vorangegangenen Wohlfühlschnipseln ein Glücksfall, was die Bandbreite der Emotionen angeht. Am Ende steht die Erkenntnis einer jungen Frau, dass sich keiner für sie interessiert und dieser Tag kein besonderer war. Diese trotz allem gewagte Dokumentation, die Homevideos und professionelle Aufnahmen nebst Musikuntermalung zu einem authentischen Ganzen formt, ist ein beeindruckendes Web-2.0-Filmdokument.

Darüber hinaus gesehen – kurz notiert:

Bombay Beach (Panorama): Zum Teil in erfrischend-frecher Videoclip-Ästhetik fotografierte Dokumentation über eine Familie an einen aussterbenden, surrealen Ort: einem Wüstensee in Kalifornien. Nicht zuletzt dank der Musik von Bob Dylan einfühlsam und nah dran an den Menschen.
The Forgiveness of Blood (Wettbewerb): Subtiles albanisches Familiendrama um die Wahrung des Kanun (Gewohnheitsrecht) durch einen Jungen, nachdem sein Onkel einen verfeindeten Nachbarn getötet hat. Tradition und Moderne, Eingesperrtsein und Freiheit werden im Verhalten der Kindergeneration dabei unprätentiös gegenübergestellt und kulminieren in einem Ende bar jeder Klischees.
Unknown Identity (Wettbewerb – außer Konkurrenz): Ein Agent mit Gedächtnisverlust (Liam Neeson) wird von den eigenen Reihen durch die Straßen Berlins gehetzt. Die lokale Situierung dieses zutiefst durchschnittlichen Agententhrillers und ein paar Stars, die mitspielen, waren wohl auch die ausschlaggebenden Kriterien dafür, dass das mit filmischen Stolperdrähten gestrafte Werk – Konstruiertheiten en masse; blöde Dialoge, insbesondere von Ex-Stasi-Mann Bruno Ganz – überhaupt laufen durfte.
Coriolanus (Wettbewerb): Ebenso ambitionierte wie durch ausladend lange Dialoge im Theaterstil anstrengende und enorm an dem zuvor durch Handkamera suggeriertem Tempo einbüßende Shakespeare-Verfilmung. Ralph Fiennes kann sein ganzes Können ausspielen, doch hätte er besser daran getan, den Stoff nicht ins Heute zu übertragen, was u. a. angesichts eines moderneren Demokratieverständnisses adäquat einfach nicht so recht funktionieren will.

Kontrapunkt: Kino pur VII

Mangels Kreativität schwillt die Zahl hinter dieser fast schon als Unterrubrik zu bezeichnenden Reihe immer weiter an und es sei im Folgenden das ein oder andere Mal auf die eine oder andere Kritik verwiesen. „Postmodern, aber ohne Zitat – geht das?“, fragte er. „Keine Ahnung“, entgegnete ich.

Monsters (GB 2010)

Ein fieses, kleines Monsterfilmchen, das sein bescheidenes Budget effektiv nutzt und unter anderem Effekte zaubert, die den Vergleich mit der Genrekonkurrenz im „Aliens auf der Erde“-Subgenre à la „District 9“ nicht zu scheuen braucht. Die Story um ein Mann und Frau, die sich durch das von gefährlichen Aliens bevölkerte Mexiko zurück in die USA begeben müssen, hält mit Seitenhieben zur us-amerikanischen Außenpolitik nicht hinterm Berg und enttäuscht nur am abrupten Ende etwas, da dann so etwas wie Originalität ziemlich fehlt. Insgesamt aber trotz ein paar Logiklöchern spannend und stimmungsvoll, wie man auch in meiner Kritik beim MANIFEST nachlesen kann.

The Tourist (USA/F 2010)

Es war einmal ein deutscher, hünenhafter Regisseur, der nach Hollywood kam, um seinen Oscar abzuholen. Das fand er so geil, dass sich sein blaues Blut rot färbte und er gleich mal mit Tom Cruise und seinen Kiddies Plätzchen gebacken hat. Doch nachdem ihm mieser Stoff um miesen Stoff unter die Nase gerieben wurde (hoffentlich kein Koks!), entschied er sich dafür, ein schon durch viele Hände gegangenes Drehbuch und zugleich Remake eines französischen Films, den keiner kennt, zu inszenieren. Das tat er dann, mit Angelina Jolie und Johnny Depp, die entsprechend ihres Nachnamens besetzt wurden. Sie: très jolie und er als der Depp. Die entfesseln eine leidlich unterhaltsame Hatz durch Venedig, stets mit hübschen Schauplätzen garniert, aber trotzdem vollkommen farblos. Der Regisseur fand das aber so strahlend, so leicht, so glänzend… – wie Taubenschiss auf dem Markusplatz. Adliger Edelmut tut halt selten gut. Ein bekannter Berliner Filmblogger-Kollege hat es hier noch pointierter auf dem Punkt gebracht, ich war bei MovieMaze hingegen etwas milder.

Der General (USA 1926)

Ähnlich wie „Metropolis“ galt der von Buster Keaton selbst finanzierte „Der General“ zunächst aufgrund riesigen Budgets und niedriger Einspielergebnisse als Flop, doch wurde er später als ein Meisterwerk rehabilitiert. Der Film, den ich am Sonntag im Lichtspielhaus in Weimar mit Live-Klaviermusik genießen durfte, überzeugt mit seinem Tempo und seiner aufwendigen Inszenierung (Highlight: ein Zug – kein Modell! – stürzt von einer Brücke in einen See) bis heute. Bedenkt man, dass sich ein Großteil der Handlung auf fahrenden Zügen abspielt, ist die Ruhe der Kamera für die damalige Zeit ebenso bemerkenswert wie die finale Schlacht. Keaton spielt den Lokomotivführer Johnnie Gray, der zur Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs unter zahlreichen Verwicklungen seine Geliebte Annabelle Lee aus den Klauen der Nordstaatler befreit. Dies tut er natürlich nicht ohne eine Vielzahl von Slapstickeinlagen, die er mit seiner gewohnt eisernen Mine vorträgt. Ein großartiger, bisweilen köstlicher Film!