Shutter Island (USA 2010)

Schon der Trailer von Martin Scorseses Shutter Island hat ein kleines Raunen in der vielsprachigen Filmcommunity verursacht.  Der würde nämlich den Twist verraten, hat man hie und da verkündet. Kenner der Buchvorlage von Dennis Lehane  klinkten sich ein in den Chor und schon wurde gespannt darauf gewartet, wie der Film diesen Fauxpas im Marketing ausbügelt. Liest man nun die Kritiken zum neuen Scorsese, scheint “Shutter Island” in der Bewertung irgendwo zwischen zwei Polen zu schwanken: Der Film droht zum einen, auf den erwähnten Twist reduziert, zum anderen als Genre-Übung eines Altmeisters abgetan zu werden. Die einen bemängeln die Vorhersehbarkeit (dazu später mehr), die anderen die oberflächlichen Freuden, welche er bietet. In jedem Fall aber ist “Shutter Island” ein absolut typischer Scorsese und dieses Urteil bezieht nicht nur seine Markenzeichen, sondern auch seine wiederkehrenden Problemzonen mit ein.

Über die weite See fährt zu Beginn das Schiff, welches den Marshal Teddy (Leonardo DiCaprio) und seinen Partner Chuck (Mark Ruffalo) zum düsteren Ashecliff Hospital auf Shutter Island bringen soll. Es ist eine Fahrt aus dem Nichts zur von Wellen umwogten Insel. Das Schiff schält sich dabei  in einer Einstellung gar aus dem Nebel heraus, als hätte „Fluch der Karibik“ Pate gestanden. Es ist die Ankündigung des Genres mit Hilfe eines visuellen Klischees, aber genauso eine Warnung; eine Warnung an den Zuschauer, dass das Shutter Island, welches wir zu sehen bekommen werden, kein gewöhnlicher Ort ist, kein normaler Tatort. Inszeniert wie ein Geisterschloss wird es von einem dazu passenden Geisterschiff besucht, dem der Held entsteigt. Eine Patientin (Emily Mortimer) ist verschwunden (die Genre-Klischees häufen sich), ihr behandelnder Arzt zufällig verreist (die Alarmglocken des Rezeptions-erprobten Zuschauers beginnen im Hinterkopf zu läuten), die Verantwortlichen der Anstalt scheinen an einer Aufklärung nicht sonderlich interessiert zu sein (hier wird etwas vertuscht!). Ungereimtheiten in den Patientenakten und verschreckte Insassen führen Teddy zum Schluss, das etwas faul ist in der Anstalt Ashecliffe und er ist der Mann, der dem auf den Grund gehen muss.

„Shutter Island“ wäre jedoch kein Scorsese, wenn der Protagonist sich nicht selbst durch seinen Wahn in Gefahr bringen würde. Hinzu kommt noch das Problem der Sympathie, denn Scorsese-Helden wollen wir nicht unbedingt kennenlernen. Lieber betrachten wir ihren Verfall (Jake La Motta), ihre Selbstzerstörung (Howard Hughes), die Sogwirkung, von der sie sich in eine Spirale der Gewalt ziehen lassen (Travis Bickle). Diese Scorsese-Helden tragen meist selbst Schuld an ihrem Untergang, weshalb die distanzierte Beobachtung ihrer implodierenden Energie eher der Arbeit an einem Seziertisch gleichkommt als der eines meisterhaften Erzählers, der uns in die Aufs und Abs ihrer Lebensbahnen förmlich einnäht. Das hat Scorsese schon in „Mean Streets“ durchexerziert und „Shutter Island“ ist keine Ausnahmeerscheinung. Mit seiner zu jeder Zeit angespannten (lies: angep***ten) Mimik wandert Teddy über die Insel und markiert den abgehärteten Cop, dessen Umgangston in wenigen Sekunden in Handgreiflichkeiten umschlagen kann. Dass DiCaprio für die Rolle des Teddy, wie in den meisten anderen Filmen der letzten Jahre auch, fehlbesetzt ist, kann kaum mehr als Überraschung bezeichnet werden. Der Scorsese-Held steht dem Mann mit den weichen Gesichtszügen nicht, er wird ihm nie entgegenkommen. Das sind freilich Rollen für Robert DeNiro, Daniel Day Lewis, den Nic Cage der neunziger Jahre.

Diese Erkenntnis ändert jedoch nichts daran, dass wir nun vor diesem Film mit Namen „Shutter Island“ stehen und DiCaprio als Teddy einen erneuten Versuch unternimmt, die männliche Härte mit verbissener Überspanntheit zu simulieren. So angestrengt sein Spiel gerade im Angesicht solcher Veteranen wie Ben Kingsley, Max von Sydow, aber auch seiner Film-Ehefrau Michelle Williams wirkt, so sinnig ist eigentlich ihre entfremdende Wirkung. Teddy ist unser roter Faden im Irrenhaus, doch ohne Umschweife zieht der Film die Vernunft desselben in Zweifel. Seine Frau ist gestorben, ermordet von einem Feuerteufel und der qualvolle Verlust verfolgt den Witwer in seinen (Tag-)Träumen. Die von Scorsese farbenprächtig inszenierten Albträume strotzen vor großzügig eingesetzten C.G.I.-Bildern. Demgleich ist jedoch auch die unruhige See, über welche die Cops zu Beginn tuckern, eine vom Computer generierte Rückprojektion; ist Shutter Island selbst von Anfang an in seiner Anhäufung der visuellen Topoi eine offensichtlich digitale Vision.

Scorseses Irrenhaus-Film ist also wie schon sein Remake von J. Lee Thompsons “Kap der Angst” ein überaus selbstreflexiver Genrefilm, sozusagen der Tarantino in seiner sowieso schon an Genres orientierten Filmografie. Ebenso wie jener erste Blockbuster seines Oeuvres ist “Shutter Island” mit psychologischen Nuancen versetzt, die dem Thriller nicht unbedingt zufliegen. War es im Remake noch die Psychoanalyse und die Gefahr der sexuellen Befreiung und damit der Zersetzung der Familie, die der Ex-Häftling Max Cady (DeNiro) verkörperte, ist “Shutter Island” durchzogen von Formen der Traumabewältigung im Kleinen (die schreckliche Tat) und im Großen (der Holocaust). Deswegen sind die überzeugenden Argumente für den neuen Scorsese kaum an seiner Genre-Oberfläche (Suspense! Horror! Thriller! und natürlich Twist!) zu finden. Der Scorsese-Held wird in “Shutter Island” vom Kind der Einwanderer in den amerikanischen Helden verwandelt, einen früheren Soldaten, der an der Befreiung Dachaus Teil hatte. Doch der Held ist gebrochen. Er wurde von seinen Traumata verzehrt, weshalb der Film als verschachtelter Kommentar jüngerer zeitgeschichtlicher Ereignisse weitaus befriedigender ist als irgendeine überraschende Wendung.

Trailer: The Secret of Kells

Allerorten werden die Tipps für die Oscars 2010 abgeben und der ein oder andere wird sich dabei sicher gefragt haben, was sich hinter The Secret of Kells verbirgt. Unter den fünf Nominierten für den Academy Award als Bester Animationsfilm ist das Debüt von Tomm Moore und Nora Twomay ganz klar der Underdog. Der Trickfilm, der in den USA noch keine wide release im ganzen Land erhalten und deshalb in Sachen Aufmerksamkeit im Vergleich zu “Up”, “Coraline” und anderen klar das Nachsehen hat, feierte vor einem Jahr auf der Berlinale Premiere. Bis heute hat der von Hand gezeichnete Oscaranwärter keinen deutschen Starttermin, was sich nach der Verleihung hoffentlich ändern wird.

Die europäische Produktion – irische, belgische und französische Firmen sind daran beteiligt – dreht sich um die Entstehung eines der größten Schätze der irischen Kultur. Aus Sicht des jungen Brendan erzählt der Film vom Book of Kells, einem  etwa um 800 geschriebenen Bilderhandschrift des neuen Testaments, dessen vielfältige Verzierungen und Illustrationen zu seinem Weltruhm beigetragen haben. Stilistisch ist der Film klar davon beeinflusst, was der Trailer bereits andeutet. Der ist eine Augenweide und kann unten oder hier angesehen werden.

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Legion (USA 2010)

So vielversprechend die Legion-PR auch ist: Paul Bettany zieht in seinem Outing als Actionheld nur einmal sein T-Shirt aus. Wer diese optische Enttäuschung zu verkraften weiß, muss im Regiedebüt von Special Effects-Maestro Scott Stewart noch allerhand andere Mängel in Kauf nehmen, die der Genre-Mischling bereithält. Dabei hat Stewart durchaus das Zeug dazu, eingängige Bilder zu kreieren, die zumindest das Potenzial besitzen, den Zuschauer mitzureißen in die Endzeit-Stimmung. Nur leider ist er kein Meister der Subtilität. Was man von Dennis Quaid auch nicht behaupten kann, der hier in einer Nebenrolle zu sehen ist. Über all den dick aufgetragenen Dialogen, welche den Film über weite Strecken lahm zu legen drohen, thront aber ein Mann. Der heißt eben Paul Bettany, ist ein gestandener Schauspieler und beeindruckt in der Rolle des Engels Michael, der sich gegen Gott wendet, um die Menschheit vor der Apokalypse zu retten, in erster Linie durch seine physische Präsenz (auch mit Shirt) und die von ihm ausgehende Autorität. Die ist schließlich nicht jedem angeboren. Der wandlungsfähige Bettany, den die meisten wohl als Silas aus “Sakrileg” in Erinnerung haben, rettet “Legion” vor den Tiefen des Endzeit-Trashs. Mehr dazu von mir kann man nun beim MANIFEST nachlesen. Lutz hat bei MovieMaze ebenfalls eine Kritik zum Film verfasst.

“Legion” startet am 18. März in Deutschland. Das nächste Stewart-Bettany-Projekt lässt übrigens auch nicht allzu lange auf sich warten. Priest heißt es, ist eine Comic-Verfilmung und wird Ende des Jahres in den USA zu sehen sein. Nach Rollen als Opus Dei-Mönch und Erzengel folgt nun Bettanys  filmische Priesterweihe:

In a world ravaged by centuries of war between man and vampire and follows a warrior priest who turns against the church to track down a murderous band of vampires who have kidnapped his niece.

(via)

Zur Einstimmung auf “Legion” gibt’s hier noch den Trailer:

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Kontrapunkt: Film vs. Buch – Homo Faber

Dass beide Medien unterschiedliche Ausdrucksmöglichkeiten haben, beim Roman die Sprache, beim Filmen die Bilder und Töne, ist nicht neu. Doch Volker Schlöndorff, der „Die Blechtrommel“ von Günther Grass fürs Kino durchaus adäquat für die Leinwand aufbereitete, ignoriert in Homo Faber (F/D/GR/GB 1991) diesen Fakt. Natürlich will er sich eng an die Vorlage halten, um die Leser des Buches nicht zu verärgern und um Max Frischs Bericht um die letzten Monate eines rational denkenden Logikmenschen gerecht werden zu können. Doch dieses Vorhaben scheitert nicht nur in Anbetracht einiger Freiheiten, die er sich dabei nimmt und auf die noch näher einzugehen sein wird. Wenn Walter Faber im Buch emotional unterkühlt daherkommt, aber der Leser immer wieder tief in seine Psyche einzudringen vermag, für die menschliche Empathie ein Fremdwort zu sein scheint, in seine Lebenslügen und die wehmütige Auseinandersetzung mit seiner Vergangenheit, so endet das Einfühlungsvermögen des Films – ohne Schrift, aber eben mit Bildern – vor den runden Brillengläsern der von Sam Shepard unzugänglich, gar unsympathisch verkörperten Hauptfigur.

Diese Hauptfigur ist ein gestandener Mann, unnötig und unpassend stilisiert zum Womanizer. Auf dem anfänglichen Flug, bei dem er Herbert Hencke kennenlernt, wird ihm bereits eine unglaubwürdige Affäre mit der Stewardess angedichtet, die es im Buch nicht gibt. Faber wird im Laufe der Handlung konfrontiert mit dem Tod seines ehemals besten Freundes Joachim, lernt nach einem Wiedersehen mit seiner Flamme Ivy seine ihm unbekannte Tochter Elsbeth kennen, mit der er schließlich zusammen durch Europa tourt. Am Ende steht dabei Fabers Wiedersehen mit seiner ehemaligen Fast-Ehefrau Hanna und Mutter Elsbeths – unter traurigen Umständen.

Die Figur des Amerikaners Marcel, welchem Faber und Hencke in Palenque begegnen, fehlt ganz, was allerdings nicht weiter stört. Ohnehin ist ein Film darauf angewiesen, die komplexen Bilder und Motive des Buches zu vereinfachen, für die Geschichte Unerhebliches auszusparen. Die Reise zur Farm von Joachim wird verknappt, die Öde in der schwirrenden Hitze von Palenque, im Buch wiederum stimmungsvoll geschildert, fällt weg und wird aufs Nötigste zusammengekürzt. Nahezu unverzeihlich sind jedoch die sich fundamental voneinander unterscheidenden Enden. [SPOILER] Während Faber im Buch seinem Magenkrebsleiden erliegt, rahmt der Film die Geschichte dadurch, indem Hanna Faber zum Flughafen bringt (getaucht in Sepia-Töne). Dieser wohlgemerkt in dem Wissen über die Geschehnisse, die dann – der Struktur des Buches als „Bericht“ sehr ähnlich – rückblickend geschildert werden. Unverzeihlich ist dies deswegen, weil der Film Fabers Zusammenbruch auf der Flughafentoilette zu Beginn als Auswirkung dieses Leidens zeigt, dies aber dann zugunsten eines weniger pessimistischen Endes – in welchem Faber immerhin mit dem Leben davon zu kommen scheint – fallen lässt. [SPOILER ENDE]

Sam Shepard gelingt es dabei in der Hauptrolle nie, Sympathie zu wecken. Dies ist auch seinem – in der deutschen Synchronisation – mehr oder minder lustlos vorgetragenem Off-Kommentar geschuldet. Julie Delpy als jugendlicher Wirbelwind Elsbeth vermag durch ihren frischen Charme aus der Besetzung noch herauszustechen, Barbara Sukowa als Hanna und Deborra Lee-Furness als Ivy gelingt es jedoch kaum, Akzente zu setzen. Über allem thront jedoch Schlöndorffs unentschlossene Regie, die nicht so recht weiß, wo sie der literarischen Vorlage treu bleiben kann und wo sie ihr treu bleiben soll. Das Medium Buch lässt sich vom Medium Film nicht ohne Qualitätsverlust übertragen – das beweist zumindest „Homo Faber“

Frame(s): Gefangen

Raum im Film – das ist eigentlich ein Widerspruch. Der Widerspruch von Projektionsfläche  und Tiefenillusion. Wie in einem Gemälde auch kann im Film der Schein von Räumlichkeit durch verschiedene Mittel erzeugt werden. Wie werden die Figuren angeordnet? Wie sieht es mit Perspektive und Tiefenschärfe aus? Diese und andere formale Mittel sind natürlich nicht wahllos gewählt, sondern stehen idealerweise in Beziehung zur Handlung, der Psychologie der Figuren oder dem mysteriösen Etwas, das sich “Meta-Ebene” schimpft. Eines der bekanntesten Beispiele: Die Steadycam-Erkundungen des Overlook-Hotels und der Geisteszustand von Jack Torrance in “The Shining”.

Wenn auch Accident von Soi Cheang mit Kubricks Familienhorror nicht viel gemein hat, so ist in beiden Filmen die Hauptfigur eine, deren Verstand zum Schaden ihrer Umgebung in den Wahn abgleitet. In “Accident” spielt Louis Koo einen Auftragskiller, der seine Morde wie komplex inszenierte Unfälle aussehen lässt. Von Beginn an wird er als Paranoiker charakterisiert. Als er jedoch vermutet, selbst ins Fadenkreuz eines Kollegen geraten zu sein, kennt sein Verfolgungswahn keine Grenzen mehr.

Frames*: “Accident” (HK 2009); Regie: Soi Cheang**


Ein visuelles Motiv, das sich durch den ganzen Film zieht: Die Flächigkeit des Bildes…

… erzeugt durch die Konzentration auf eine Bildebene. Unscharfe Strukturen rahmen gitterartig unseren Helden ein.

Das Objekt seiner Beobachtung eingefangen im Fenster eines Hochhauses. Die Form gleicht der einer Linse.

Wieder das Objekt, die Bedrohung. Diesmal dank der Spiegelung in dreifacher Ausführung. Auch der unscharfe Bereich im Vordergrund und die Rahmung innerhalb des Bildes sind da.

Linse und Spiegelbild treffen zusammen. Unser Held hängt eingefangen wie in einem Bild von René Magritte an der Wand.

Der Held vom Türrahmen fixiert. Das Bildnis seines Wahns ist die Wand hinter ihm, doch über seinen Zustand wissen wir längst Bescheid.

Was bleibt? Vielleicht ist es der Blick aus dem Gefängnis; vielleicht auch sein Verfolgungs- und Überwachungswahn in tausend kleinen Linsen tragisch überspitzt.


* Die Frames sind chronologisch angeordnet entsprechend ihres Auftauchens im Film.
** Soi Cheang heißt manchmal auch Cheang Pou-Soi. “Accident” ist seine erste Regiearbeit für Milkyway Image. Davor hat er mit “Dog Bite Dog” (2006) die Zuschauer begeistert und mit “Shamo” (2007) dieselben an seiner Zurechnungsfähigkeit zweifeln lassen.