Da eine Einleitung einer Kritik zu Gone Baby Gone anscheinend nicht ohne Hinweise auf den Verfall der Karriere Ben Afflecks, den nicht mehr ganz so neuen Neologismus Bennifer und einer künstlerischen Wiedergeburt, welche der eines Phönix’ aus einem riesigen Aschehäufchen gleicht, funktioniert, widersetze ich mich hiermit diesem Trend und fange mit Autor Dennis Lehane an.
Der hat bekanntlich (Achtung! Hier beginnt die einfallsreiche Einleitung) das Buch “Mystic River” geschrieben, welches von Clint “the Leatherface” Eastwood verfilmt wurde, samt super Schauspielern und schrecklichem Score.
Um eine Jugendfreundschaft vor dem Hintergrund von Bostons Arbeitervierteln drehte sich der Film, inklusive Pädophilie, Schuld, Sühne und allem, was sonst noch zu einem familienunfreundlichen Thriller gehört.
Ähnliche Inhalte präsentiert uns Ben Afflecks Regiedebüt und Lehane-Adaption “Gone Baby Gone”. Wieder ist der Stein des Anstoßes der Verlust einer Tochter, diesmal durch eine Entführung.
Privatdetektiv Patrick Kenzie (Casey Affleck) wird angeheuert, das kleine Mädchen aufzuspüren. Seine Partnerin Angie Gennaro (Michelle Monaghan) begleitet ihn bei der Spurensuche im Dickicht des Bostoner Drogenmilieus.
Akzeptiert man erstmal Casey Afflecks ungewöhnlichen, Adidas Superstar-Schuhe tragenden Ghettodetektiv und die mannigfaltigen Schimpfwörtertiraden, die so ziemlich jeden Dialog begleiten, gilt es die geradlinige und zur Unterschätzung des Films beitragende Exposition zu überwinden. Die Charaktere erscheinen auf dem ersten Blick recht blass und man fragt sich unweigerlich: Schon wieder ein gutmütiger Morgan Freeman???
Die einzige Ausnahme ist hier die glänzende Amy Ryan als heruntergekommene, drogensüchtige Mutter des vermissten Mädchens, die uns von Anfang an ihren unangenehm fertigen Charakter vor die Füße wirft.
Sehr bald wird einem glücklicherweise der mit Zigarettenstummeln und Koks übersäte Teppich unter den Füßen weggezogen. Der Milieu-erprobte Patrick wird plötzlich zum Richter und vertreibt gleich seinem heiligen Namensvetter eine pädophile “Schlange” aus seinem “Land”. Die moralischen Zwickmühlen, in die Patrick von nun an gerät, treiben die Handlung an und sind auch im Nachhinein die Elemente des Films, die einem in Erinnerung bleiben.
Casey Affleck spielt so ziemlich das genaue Gegenteil seines Feiglings und Jesse James-Mörders Bob Ford, dessen inneren Aufruhr er noch mit einer ausgeprägten Mimik an den Mann (sprich: Zuschauer) gebracht hat. Patrick ist kein zynischer Bogeyverschnitt , der als Aussenseiter in seinem Büro abhängt und Whiskey trinkt und doch genauso abgebrüht und souverän. Die zwinkerlose, harte Mine im Angesicht eines bedrohlichen Pistolenlaufes nimmt man Affleck jederzeit ab.
Übertroffen wird er noch von Ed Harris, der nach A History of Violence hier mal wieder einen ausgesprochen interessanten Charakter ergattert hat und dem Klischee des knallharten Cops durch die moralische Doppelbödigkeit seiner Taten ungeahnte Tiefen verleiht.
Das mit einem eindringlichen Twist angereicherte Erstlingswerk braucht seine Zeit, um in Fahrt zu kommen, ist dann aber kaum mehr aufzuhalten und rammt sich gegen Ende direkt ins Gewissen des mitdenkenden Zuschauers. Selten hat ein Krimi die Erfindung des Abspanns so notwendig gemacht, wie Gone Baby Gone.