The Fall (USA/GB/IND 2006)

Gemälde. Wie eine Sammlung von Gemälden wirken die Bilder, die sich im Kopf der kleinen Alexandria (Catinca Untaru) zu einer Abenteuergeschichte formen. Oftmals surrealistisch, als hätte Salvador Dali hinter der Kamera seinen Schnurrbart gezwirbelt. Zuweilen in ihrer extremen Betonung von Farbflächen wie eine malerische Version von Chen Kaiges “Gelbe Erde” wirkend. Dennoch ist Bewegung Lohn und Brot nicht nur Tarsems, der sie in den vielen Zeitlupen zelebriert, sondern auch des tragischen Helden und Erzählers Roy (Lee Pace). Der ist ein Stuntman in frühen Stummfilmen und wenn ein Stuntman eines kann, dann sind es Bewegungen, die der Star nicht auszuüben in der Lage ist. Stuntmen sind die unbesungenen wahren Helden der Filmwelt, denn Heldsein bedeutet, den eigenen Körper für eine höhere Sache in Gefahr zu bringen. Und was für eine höhere Sache ist das Kino!

Umso grausamer ist Roys Schicksal, denn er verliert seine Geliebte an den Star des Films. Sein verzweifelter Versuch, die Schöne mit einem Stunt zu beeindrucken, endet im Krankenhaus. Der Stuntman – im Liebeskummer ertrinkend – hat die Lust am Leben verloren. Er spürt seine Beine nicht mehr; ans Bett gefesselt ist er auf Alexandria angewiesen, um das zu bekommen, wonach er sich sehnt: Eine Überdosis Morphium. Das kleine Einwanderermädchen, das sich beim Orangenpflücken den Arm gebrochen hat, lockt er mit besagter Geschichte vom bösen Gouverneur Odious und den fünf Helden, die ihn gemeinsam zur Strecke bringen wollen.

Während die Realität des Krankenhauses in warmen Sepia-Tönen gehalten ist, entfaltet Tarsem die Fantasie des Mädchens in unglaublich farbenprächtigen Bildarrangements aus endlosen Wüsten, winzigen Eilanden im türkisfarbenen Meer und architektonischen Wunderdingen. Unwirklich und traumartig wirken die Schauplätze, doch sie alle sind auf unserer Erde zu finden. Keinem Computer sind sie entsprungen. Für diese Feststellung benötigt man weder Making Of, noch Audiokommentar. Die durchdringende Plastizität ist es hingegen, die Greifbarkeit des Dargestellten, nach der sich jahrhundertelang Maler gesehnt haben.

Doch Tarsem ist eben nicht nur der malerische Filmemacher, der ausgefallene Kostüme und Schauplätze zu ebenso märchenhaften wie wunderschönen und manchmal grausamen Tableaux vivants zusammenfügt. The Fall ist ein Film über den Film und die Quintessenz des Films ist Bewegung. Bezeichnenderweise sind Pferde hier sein liebstes Motiv. Ob das leblose Tier, das in den Credits aus dem Wasser gehoben wird und schon auf Roys Verletzung verweist oder die kurze Projektion, die Alexandria dank eines einfachen Lichtspiels zu sehen bekommt. Eadweard Muybridge hätte an diesem Film seine helle Freude gehabt. Mit Zeitlupenaufnahmen beginnt der Film und dermaßen betont Tarsem in Folge selbst die flüchtigsten Bewegungen seiner menschlichen und tierischen Körper, dass es naheliegt, “The Fall” als überstilisiertes Nichts abzutun. Wäre da nicht die ‘Realität’.

Roys tragische Liebe ist ein überaus melodramatisches Kontrukt, das sich nicht von ungefähr auch in seiner Geschichte wieder findet. Nichtsdestotrotz erscheint die Beziehung zwischen ihm und Alexandria ungemein natürlich. Zu verdanken ist das primär Catinca Untaru, die – und das ist im Film überraschend selten – schlicht wie ein normales Kind wirkt. Ihre wachsende Freundschaft zum suizidalen Stuntman gestaltet Tarsem mit überraschend viel Tiefe und Feingefühl. Gerade wenn sich das Drama in beiden Erzählebenen zuspitzt, beweist der ehemalige Videoclipregisseur ein figurenpsychologisches Talent, welches aus dem Film mehr als nur einen Bilderreigen, aus der Rahmenhandlung mehr als nur einen Vorwand macht. Schlussendlich weiß er, sein Medium auf eine Weise zu feiern, die schon Preston Sturges 65 Jahre vor ihm mit Hilfe eines einfachen Disney-Cartoons zur Meisterschaft gebracht hat. Manche Dinge ändern sich eben nie.


Andere Meinungen:

 

luzifus 6/10
Symparanekronemoi 8/10

Chef, my ass!

Eben noch für das Cannes Filmfestival ausgewählt, nun mit einem neuen Trailer am Start. Vengeance, der neue Film von Johnnie To, startet in knapp einem Monat in den französischen Kinos, so dass die Marketingmaschinerie langsam in Gang kommt.

Der zweite Trailer gibt nicht nur einen besseren Eindruck von der Story und den Englischkenntnissen Johnny Hallydays und Anthony Wongs. Als Bösewicht darf anscheinend Dr. Lamb höchstpersönlich – Simon Yam – auftreten, der hier übercool mit Sonnenbrille und Gewehr daherkommt. Auch wenn die etwas konventionelle Musik nicht an die des ersten Trailers herankommt, steigert sich beim Anblick Hallydays, der überaus gelassen Leute niedermäht, die Vorfreude langsam ins Unermessliche.

Ob Vengeance Johnnie To nun endlich zum internationalen Durchbruch verhilft, muss man sich unweigerlich bei dieser englischsprachigen Produktion fragen. Schon fürchten oder ersehnen Fans den Gang nach Hollywood. To hat sich für sein erstes internationales Projekt ausgerechnet an das Land von Alain Delon und Jean-Pierre Melville gewendet und das deutet zumindest an, dass er zu diesem Zeitpunkt nicht gewillt ist, den Pfad eines John Woo zu beschreiten. “Vengeance” spielt trotz oder gerade wegen des Hauptdarstellers in Hongkong und auch Tos geplantes Remake von Melvilles “Le Cercle Rouge” wird wohl in seiner Heimat gedreht werden. Genießen wir das, solange wir es noch können.

Bei Wildgrounds gibt es eine YouTube-Version des Trailers.

(via)

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Next up: “The Fall”.

Rache, Durst und der Antichrist

Gestern wurde die Filmauswahl des diesjährigen Festivals in Cannes bekannt gegeben und zum ersten Mal bin ich extrem neidisch auf diejenigen, die das Event besuchen können. Allein der Blick auf den Wettbewerb macht zumindest meinen Cineastenmund wässrig und das nicht einmal nur wegen Johnnie To.

Von Alain Resnais über den unvermeidlichen Haneke zu den neuen Filmen von Park Chan-Wook, Quentin Tarantino, Ang Lee, Pedro Almodovar usw. versammeln sich vom 13. bis zum 24. Mai die Größen der internationalen Kinoszene an der Côte d’Azur. Und das sind nur die Namen, die den Wettbewerb bevölkern. Filme von Terry Gilliam, Bong Joon-Ho (“The Host”) und Pen-Ek Ratanaruang (“Last Life in the Universe”) sind in anderen Kategorien auch noch zu finden.

Hier die Liste der Beiträge für den Wettbewerb um die Goldene Palme:

Bright Star, Director: Jane Campion

Spring Fever, Director: Lou Ye

Antichrist, Director: Lars von Trier

Enter the Void, Director: Gaspar Noe

Face, Director: Tsai Ming-Liang

Les herbes folles, Director: Alain Resnais

In the Beginning, Director: Xavier Giannoli

A Prophet, Director: Jacques Audiard

The White Ribbon, Director: Michael Haneke

Vengeance, Director: Johnnie To

The Time That Remains, Director: Elia Suleiman

Vincere, Director: Marco Bellocchio

Kinatay, Director: Brillante Mendoza

Thirst, Director: Park Chan-Wook

Broken Embraces, Director: Pedro Almodovar

Map of the Sounds of Tokyo, Director: Isabel Coixet

Fish Tank, Director: Andrea Arnold

Looking for Eric, Director: Ken Loach

Inglourious Basterds, Director: Quentin Tarantino

Taking Woodstock, Director: Ang Lee

Die Filme in den anderen Kategorien findet man hier.

Nur ein Sommer (D/CH 2008)

Von der Platte in die Berghütte. Einen härteren Kontrast in Sachen Wohnumgebung könnte man sich zwar kaum vorstellen, doch Regisseurin Tamara Staudt verzichtet – anders als es häufig ihre Kollegen tun – glücklicherweise auf die Darstellung der Trabantenstädte als Betonhölle. Die vertraute Heimat der arbeitslosen Heldin Eva (Anna Loos) ist stets in warmes Sonnenlicht getaucht und eigentlich ganz hübsch. Wären da nicht die Abrissmaßnahmen nebenan.

Eva, eine 35-Jährige mit einem befremdlich gleichaltrig wirkenden Sohn und einem wesentlich jüngeren Freund, will endlich wieder selbst Geld verdienen. Das Angebot der Arbeitsagentur, sich als Melkerin für einen Sommer in der Schweiz zu verdingen, nimmt sie daher ohne großes Zögern an. Konfrontiert mit dem schweigsamen Käsemacher Daniel (Stefan Gubser) und einer Schar Milchkühe auf einer Alm irgendwo im nirgendwo der Alpen, findet Eva zu sich selbst, lernt die Liebe ihres Lebens und den Weg aus der Arbeitslosigkeit kennen.

Solche oder ähnliche Erwartungen stellt man zumindest an diese moderne Heimatkomödie, doch mehr als ein Teil der Entwicklungen anzureißen, gelingt dem Film nicht. Hier ein bisschen Komödie über kauzige Bauern, dort ein bisschen Selbstfindungsdrama über eine Frau mit einem Hang zur Bindungsangst, von der aber jeder „ein Kind haben will”. Am Ende ist da nicht mehr als die große belanglose Leere und ein paar nette Episoden.

Überzeugend ist Nur ein Sommer v.a. als Komödie, etwa als der gutaussehende Almnachbar Mehmed (Oliver Zgorelec) an Eva Gefallen findet und der ansonsten mürrische Daniel die Eifersucht für sich entdeckt. Vor dem Hintergrund der schroffen, nichtsdestotrotz schönen Landschaftsaufnahmen sorgt allenfalls das Zusammenspiel so unterschiedlicher Figuren – man möchte fast sagen „Kulturen” – für Unterhaltung. Verbunden wird das ganze mit einem genauen Blick für den Arbeitsalltag und die Käseherstellung. Ein uriges Gefühl vermittelt „Nur ein Sommer”, so dass man den Käse fast riechen, das Holz unter den Füßen knarren hören kann.

Dem unrhythmisch vor sich hin plätschernden Film kommt es aber leider nicht zu Gute, dass der Hauptdarstellerin jegliche Emotionalität abgeht. Die Idee, eine Berliner Schnauze auf eine Schweizer Alm loszulassen, mag zwar für ein paar Lacher sorgen. Doch wenn das Drama anklopft, bleibt Loos ausdruckslos. Selten wurde ein durchaus mit Potential versehener Film derart von den mehr als nur limitierten Fähigkeiten seiner Hauptdarstellerin sabotiert.

Auch erzählerisch kann der Film diese Schwäche nicht ausgleichen. Vor und hinter der Kamera trifft damit Unvermögen auf Unvermögen und wieder einmal fragt man sich, warum die eklatanten Mängel des  Drehbuchs nicht schon bei der Finanzierung aufgefallen sind. So ist Staudt nichts halbes und nichts ganzes gelungen, denn eine Idee allein reicht nicht. Es ist eben „nur” ein Sommer.

In einer gekürzten Fassung erschienen in der interkulturellen Hochschulzeitschrift Unique Jena.

[Mein Dank geht an den Schillerhof für die Akkreditierung.]

Frame: Dir gehört die Zukunft

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Ausgerechnet in einer heruntergekommenen Schule finden sie Unterkunft. Ein kleines Reh hat sich in das verstaubte, von der Zeit vergessene Innere verirrt, verschwindet wie die Jugend, die mit “Baby Diego” zu Beginn sprichwörtlich gestorben ist. Durch das zerbrochene Fenster* der Blick auf die letzte Hoffnung. Die Scherben fokussieren ihn, trennen zugleich die menschlichen und sächlichen Überreste der grauen Vergangenheit, trennen Theo und Miriam von der Hoffnung, die im Sonnenlicht auf einer seit Jahren unbenutzten Schaukel erstrahlt.

Theo und Miriam werden die Ruinen im Grunde nie verlassen, sie bleiben Teil der Nacht, der Dunkelheit, welche nicht einfach über die Gesellschaft gekommen ist, sie wurde von ihr zur Tür herein gebeten. Die Frage, ob es einen Morgen gibt für die Menschheit, stellt der dystopische Film. Ein Blick aus dem Fenster gibt die Antwort: Ja.

Frame: Children of Men (USA/GB/J 2006); Regie: Alfonso Cuarón


*Alfono Cuarón hegt eine ziemlich offensichtliche Vorliebe für Fenstersymbolik und pflegt diese sogar in Blockbusterware wie “Harry Potter und der Gefangene von Azkaban”.