Dog Bite Dog (HK 2006)
Die Abgründe des Großstadtlebens wurden in der Geschichte des Kinos schon reichlich oft seziert. Ob Anonymität und Entfremdung im Serienkillerklassiker Sieben oder der im Chaos der Bürokratie versinkende Überwachungsstaat in Brazil, Großstädte bilden eine hervorragende Kulisse für die Projektion des Unbehagens an der Moderne und ihrer Mitbringsel.
Enge Häuserschluchten, durch die sich im Kaufrausch befindliche Menschenmassen quetschen, während der sprichwörtliche “Rand” der Gesellschaft auf dem Gehweg dahinvegetiert, das ist der Stoff aus dem die Träume nicht nur des postmodernen Films sind. Die negativ konnotierte Vorstellung der Masse, die spätestens seit Gustave Le Bon in den Sozialwissenschaften und so mancher großangelegter Gesellschaftstheorie ihr Unwesen treibt, gehört zum Großstadtleben, wie der verrückte Rotwang zu Metropolis.
Da mag es überraschend erscheinen, dass ein Film ein apokalyptisches Bild des menschlichen Daseins im Betonmoloch mithilfe einer merkwürdigen Absenz der städtischen Masse zu zeichnen in der Lage ist. Die Straßen der Siebenmillionenstadt Hongkong erscheinen in Soi Cheangs Dog Bite Dog leer gefegt, als hätten die Bewohner in weiser Voraussicht das Weite gesucht und sich in den Häusern verschanzt.
Denn niemand steht dem kambodschanischen Auftragskiller (Edison Chen) im Wege, als er im nächtlichen Hongkong eintrifft. Kein Wort Chinesisch kann er, doch man setzt sich in seiner Welt nur mit angeborenen Überlebensinstinkten durch. Von Kind auf zum Töten mit und ohne Waffen trainiert, ist der Killer seinem baldigen Gegner, dem Polizisten Wai (Sam Lee), durch die Radikalität seines durch den Instinkt geleiteten Handelns lange überlegen. Mit aller Seelenruhe betritt er zu Beginn ein Restaurant. Ausgehungert, wie er ist, verzehrt er fein säuberlich den letzten Rest seiner ausgiebigen Mahlzeit, steht auf und erschießt kaltblütig seine Zielperson. Ebenso ruhig verlässt er das Restaurant, jedoch nicht ohne sich vorher noch etwas Essen vom Ehemann des Opfers gegriffen zu haben.
Seine Handlungsweise löst Unverständnis bei den Polizisten aus, die, ihrer Profession gemäß, die Ordnung durch die Durchsetzung allseits anerkannter Normen und Werte aufrecht erhalten. Der Killer darf nicht mit dem Bösen verwechselt werden. Er repräsentiert Eigenschaften des Menschen, die erst in Extremsituationen zum Vorschein kommen und in der Zwischenzeit gern verdrängt werden. Überleben um jeden Preis, wenn nötig auf Kosten des Gegenübers, das ist seine einzige Triebfeder bis er, verfolgt von Wai, der mit allen Mitteln Rache für einen vom Killer ermordeten Kollegen nehmen will, passenderweise an einem Ort landet, der ein typisches Resultat modernen menschlichen Daseins darstellt. Einem Ort, der aus dem Blickfeld des wohlgenährten Städters entschwunden ist: einer Müllkippe.
Der Killer, der aus ärmlichen ländlichen Verhältnissen stammt, wird hier konfrontiert mit städtischen Formen der Ausbeutung: Ein Mädchen lebt mit ihrem missbrauchenden Vater inmitten des Abfalls. Ebenfalls fremd ist sie in der Metropole Hongkong als eine der vielen Hunderttausend Einwanderer vom Festland. Der Beschützerinstinkt des Killers wird geweckt. Fortan bilden die beiden ein ungleiches Gespann, welches gemeinsam durch die Straßen hetzt, denn Polizist Wai verliert nie ihre Fährte. Wie ein Jäger, der im Angesicht des Untiers in den Abgrund blickt und selbst zur Bestie wird, überschreitet Wai alle Grenzen des Polizistendaseins, um der Spur der Gejagten zu folgen.
Die beiden Protagonisten schießen und prügeln sich durch ein Hongkong, dessen Leere, dessen Verfall Soi Cheang in verblichene Blau- und Beigetöne kleidet. Einen mythischen Ort ummalt das mal karge, mal wuchtige Sounddesign, einen Ort der Endzeit, in dem ein menschliches Leben wie ein Sandkorn in den Ruinen vergangener Hochkulturen davon geweht wird.
In dieser Stadt gibt es für die beiden Antihelden keine Zukunft, keinen Grund anzuhalten. Gibt es für Hongkong eine (chinesische) Zukunft? Diese Frage muss sich jeder an seiner Stadt interessierte Filmemacher der SAR stellen. Soi Cheang umgeht die konkrete Antwort geschickt, wenn auch unbefriedigend. Spaß macht das größtenteils pessimistische Treiben in Dog Bite Dog nicht. Doch Kino soll mehr können, als unterhalten; auch das Kino Hongkongs.
Jet Li vs. Jackie Chan: The Forbidden Kingdom
Eine Sichtung von Tsui Harks “Once upon a Time in China” hat es mal wieder bewiesen: Jet Li ist die coolste Kampfmaschine auf Erden. Im Angesicht des Meisters würde sich selbst Chuck Norris hinter seinem Bart verstecken. Gründe gibt es also genug, einen neuen Jet Li-Film anzukündigen, doch ein Aufeinandertreffen des Wushu-Champions mit Hongkong-Legende Jackie Chan auf der großen Leinwand verdient besondere Aufmerksamkeit.
The Forbidden Kingdom heißt nun ihr erstes gemeinsames Werk, ein amerikanischer Fantasyfamilienstreifen, der an seinem Startwochenende rund 20 Millionen Dollar eingespielt hat. Zielgruppengerecht ist die Hauptfigur der Teenager Jason, der mehr oder weniger aus Versehen eine Zeitreise ins mittelalterliche China macht (das passiert schließlich jeden Tag…) und dort auf Jet Li und Jackie Chan trifft, die ihm natürlich zum Kungfu-Kämpfer ausbilden. Zusammen müssen sie einen bösen Warlord zur Strecke bringen.
Für die Choreographie der Martial Arts-Szenen zeichnete Yuen Woo-Ping verantwortlich, der diese Tätigkeit auch schon bei “Matrix”, “Kill Bill I+II”, “Tiger and Dragon” und “Kung Fu Hustle” innegehabt hatte.
Ein deutscher Starttermin für The Forbidden Kingdom steht noch nicht fest. Am 16. April wird “The Forbidden Kingdom” in Deutschland starten.
UPDATE: Die Kritik zum Film gibt’s hier.
Einen Trailer gibt’s in einer sehr guten Qualität bei MovieMaze.de oder in der YouTube-Version:
[youtube=http://de.youtube.com/watch?v=e66Og0lOCcE]
Frank Millers neuer Film: "The Spirit"
Man könnte glauben Graphic Novel Maestro Frank Miller (300) würde sich für seine zweite Regiearbeit nach Sin City wieder ein eigenes Comic als Vorlage nehmen. Doch falsch gedacht! The Spirit basiert auf den Comics des 2005 verstorbenen Zeichners Will Eisner.
1940 tauchte der maskierte Held “The Spirit” erstmals in den Blättern, die die Welt bedeuten, auf, um das organisierte Verbrechen zu bekämpfen.
Ganz in der Tradition des Film Noir scheint nun Miller seine Verfilmung angesiedelt zu haben. Gabriel Macht mimt den titelgebenden Helden, Samuel L. Jackson spielt The Octopus (nicht verwandt mit Doc Ock). Eva Mendes und Scarlett Johansson werden die Herren der Schöpfung zu erfreuen wissen.
Nun der Wermutstropfen: der Film wird erst im Januar 2009 in den USA starten.
Bis dahin kann man sich am Teaser und dem Sin City-esken Artwork (unten) satt sehen:
[youtube=http://de.youtube.com/watch?v=9XTFX64LbLY]
Infernal Affairs III – Director's Cut (HK 2003)
[Wer Infernal Affairs I nicht gesehen hat und Wert auf ein ungespoilertes Filmerlebnis legt, sollte die folgende Kritik überspringen und stattdessen die letzten Sätze als Fazit ansehen. Alle anderen: Sport frei!]
Der Tod von 80% der Hauptfiguren könnte den ein oder anderen Produzenten abschrecken, ein Sequel zu drehen, nicht jedoch die gewitzten Filmschaffenden der Sonderverwaltungszone (SAR) Hongkong. Nachdem ein Prequel von Infernal Affairs dieses Problem bereits erfolgreich gelöst hatte, stand man erwartungsgemäß beim dritten Teil vor der Frage, bei der sich selbst Lenin schon den Kopf gekratzt hatte: Was tun?
Sollte man die Geschichte des Triadenspitzels Lau (Andy Lau) weitererzählen, der bekanntlich den ersten Teil überlebt hatte. Sollte man in einem Prequel auch noch die Kindheit der Helden inspizieren? Leider stellte man sich bei Media Asia nicht die Frage, ob überhaupt ein Sequel sinnvoll wäre, sonst hätte die Reihe in Form von Teil Zwei einen würdigen Abschluss erhalten.
Infernal Affairs III ist ein Zeugnis der Unentschiedenheit, der großen Ambitionen und des Wunsches nach viel, viel Geld. Um noch einmal alles aus der geplagten Box Office der Heimat herauszuholen, haben die Drehbuchautoren Alan Mak und Felix Chong ein für einen Thriller viel zu kompliziertes Mischmasch aus Prequel und Sequel entworfen.
Der Grund: Irgendwie mussten die Superstars Andy Lau (House of Flying Daggers) und Tony Leung (Gefahr und Begierde) ein weiteres Mal in einen Film gequetscht werden, obwohl die Figur des letzteren bereits verschieden war. Folglich erzählt der dritte Teil der infernalischen Saga den weiteren Werdegang Laus in den Reihen der Polizei und schneidet diesen munter mit dem Geschehen in den Monaten vor Yans (Leung) Tod zusammen.
Die Geschichte des Triaden Lau, der – in die Polizei eingeschleust – eigentlich nur ein guter Cop und Mensch sein will, gibt noch am ehesten die Story für ein Sequel her, schließlich ist sein weiterer Weg nach dem ersten Teil offen. Die Regisseure Andrew Lau und Alan Mak gestalten diese Zeitebene in unterkühlten, abweisenden Interieurs, die Laus in die Brüche gehenden Geisteszustand entsprechen.
Von Schuldgefühlen für Yans Tod getrieben, stürzt er sich in die Suche nach weiteren Spitzeln in den Reihen der Polizei und stößt auf den zwielichtigen Yeung (Leon Lai, neben Andy Lau einer der erfolgreichsten Cantopopsänger). Bald liefern sich beide ein Katz und Maus- Spiel ausgeklügelter Überwachung.
Auf psychologischer Ebene gehen die Macher einen nachvollziehbaren Weg. Je länger er Yeung überwacht, desto mehr identifiziert sich Lau mit dem toten Yan, darauf hoffend, dass auch er durch seine Taten Vergebung finden kann. Eine spannende Atmosphäre kommt deswegen nur schwer auf, schließlich nehmen wir die meiste Zeit Platz in Laus Kopf, in seiner Psyche und beobachten deren Kollaps in Zeitlupe.
Leon Lai bringt eine akzeptable Mischung aus Berechnung und Undurchsichtigkeit in seine Rolle des geheimnisvollen Gegenspielers. Sein stets mit einem überlegenen Lächeln verziertes Spiel ruft Francis Ng aus Infernal Affairs II in Erinnerung, doch Lais Methode ist oft nur schwer vom hölzernen Spiel eines ganz einfach schlechten Schauspielers zu unterscheiden. Die Persönlichkeit einer Figur, die Ng durch ein paar Blicke präsent zu machen in der Lage war, bleibt bei Lais Polizist nur ein blasser Schatten.
Andy Lau dagegen hat selten so überzeugen können, ist bei vielen seiner Rollen doch der Vorwurf gerechtfertigt, er sei mehr Steinblock als Mime. Schade nur, dass die Macher sich nicht auf sein Starcharisma allein verlassen haben und die bedrückende Stimmung dieser Zeitebene immer wieder aufbrechen durch Rückblicke in das Leben des toten Yan. Würden interessante Facetten zu Yans Persönlichkeit durch einen ansprechenden Plot hinzugefügt werden, so wäre das noch akzeptabel. Ein Großteil des Films wird aber durch seine Flirts mit einer Psychologin (Kelly Chen) verplempert.
Chen übertrifft leider selbst Lai in der Kunst, einen flachen Charakter schlecht gespielt auf die Leinwand zu klatschen, so dass am Ende nur der Schluss bleibt, dass die Autoren verzweifelt versucht haben, ein Romantic Interest in den Film einzubauen. Bedenkt man, dass die zwei ersten Teile Aktricen, wie Carina Lau und Sammi Cheng, präsentieren konnten, kann man sich im Grunde nur noch an der eigenen Enttäuschung erfreuen.
Sind die letzten Bilder des Films zwar ein treffender Abschluss der Saga, können diese leider nicht darüber hinwegtäuschen, dass die 100 Minuten davor schlicht zu konfus, um zu unterhalten, zwei Geschichten präsentieren, die zwanghaft in das Infernal Affairs-Schema gepresst wurden und an keiner Stelle die perfekt konstruierte Brillanz der Vorgänger erreichen. Die großen dramatischen Gesten, die in diesen Teilen dank der routiniert gezeichneten Figuren noch die Tränendrüse in Anspruch nehmen konnten, verdampfen in Infernal Affairs III durch ihre unglaubwürdige Künstlichkeit in kürzester Zeit.
In den Extras der deutschen DVD hat Schauspieler Anthony Wong das zentrale Problem von Infernal Affairs III mit gewohnter Ehrlichkeit formuliert:
“Müde bin ich. Da wird ständig nachgeschoben. Was soll das noch? Ohne würde es auch gehen. Ich verstehe wirklich nicht, was das alles soll. Das wäre auch ohne meinen Charakter gegangen.”
Was soll man da noch sagen?
Zum Weiterlesen:
Infernal Affairs
Infernal Affairs II
The Departed