Domino (USA/F/GB 2005)

Domino mal wieder gesehen. Ein Film, den man generell eher sehen als verstehen sollte. Notizen gemacht für die Kritik. “Notizen” heißt in diesem Fall: zunächst eine Aufzählung von Stilmitteln. Erdrückend saturierte Bilder, auffällig in die Länge gezogene Überblendungen und natürlich das Spiel mit den Verschlusszeiten. Die avantgardistische Variation von Bewegung und Farbe gehört zu den Zutaten von Tony Scotts Stil. Das wissen wir spätestens seit den guten alten 90ern, etwa seit “True Romance”, der nicht nur die hysterisch übertriebenen Wurzeln mit “Domino” teilt. Doch was sonst noch über “Domino” schreiben? Es fällt schwer. Vielerorts wird Scott als reiner Stilist abgehakt. Das ist nicht falsch, aber keine erschöpfende Annäherung an einen der prägenden Mainstream-Regisseure unserer Tage. Scott ist mehr als nur ein Vertreter einer mittlerweile schon klassisch gewordenen Videoclip-Ästhetik, deren unvermeidlicher Aufstieg in Film und Fernsehen Tonnen an Wortsalat für Feuilleton, Filmkritik und Freizeitcineasten in den letzten zwanzig Jahren bereit gestellt hat. Liefert Scott in seinem noch immer andauernden Denzel Washington-Zyklus seit Jahren routiniert kleine und mittelgroße Blockbuster ab, kann man “Domino” als sein künstlerisches Manifest sehen.

Stilist – sicher. Aber die Unterscheidung zwischen Form und Inhalt muss angesichts eines Filmes wie diesem nichtssagend geraten. “Domino” ist kein Biopic einer Schauspielertochter, die zum Model und schließlich zur Kopfgeldjägerin wird. “Domino” ist Oberfläche. Über ihre grellen Farben, schnellen Schnitte und willkürlichen Handlungswendungen bewegt sich der Film, umzingelt gewissermaßen sich selbst in den 127 langen Minuten seiner Laufzeit. Keine wahre Geschichte (“irgendwie wahr” trifft es besser) wird da erzählt. “Erzählen” ist schon eine Übertreibung. Domino Harvey (Keira Knightley) ist ein Farbton, den Tony Scott neben vielen anderen auf die Leinwand wirft. Seine schönste Schattierung erhält er in den rahmenden Verhör-Szenen mit Lucy Liu. Da ist das knochige Gesicht der Knightley schon ikonisch wie Guevara zum Postermotiv geworden, zu einem giftgrüngelben Poster, welches von Anfang an das Kratzen an der Oberfläche – die heiligste Aufgabe aller Biopics – von sich weist. Anstatt die reale Fassade dieses wilden, kurzen Lebens zu durchblicken, baut “Domino” einfach eine neue auf – mit Domino-Elementen gewissermaßen und ganz anderen, fremden.

Fernsehen ist hier das Stichwort. Ganz am Anfang werden wir hineingeworfen in einen Job der Kopfgeldjäger (Knightley, Edgar Ramirez, Mickey Rourke), d.h. in die Mitte des Films, der sich danach stichpunktartig Dominos Kindheit und Jugend annehmen wird. Eine drohende Schießerei. Im Hintergrund läuft “The Manchurian Candidate”. Klar: Laurence Harvey, neben Frank Sinatra Hauptdarsteller des Films und früh verstorbener Vater der kleinen Domino, wird scheinbar als Leitmotiv des Folgenden ausgegeben. Doch eigentlich trägt dieser offensichtliche Verweis auf die abwesende Vaterfigur einen Brückenschlag mit sich. Der führt vom Schauspieler, der zum Hollywoodstar wurde, zu seiner Tochter, die in einer Zeit lebt, in der “Berühmtheit” im Reality TV erlangt wird. Zu eben dieser kommt sie, als ein exzentrischer TV-Produzent (Christopher Walken) eine Serie über die Kopfgeldjäger ins Rollen bringt. Mit zwei “Beverly Hills 90210”-Stars als Moderatoren im Schlepptau.

Das Drehbuch stammt von Richard Kelly. Das sei betont. Ein deutlicher Hauch “Southland Tales” weht gelegentlich durch das mediensatirische Blattwerk des Films. Was “Domino” zu solch einem wahnsinnig seltsamen Experiment geraten lässt, ist genau diese Verschmelzung von Kellys Wille zur absurden Verzerrung und Scotts nicht weniger wahnwitziger Bildsprache, die hier ganz klar ohne Rücksicht auf Verluste durchgezogen wird. Man könnte nach einer Stunde abschalten, vielleicht genervt von den schrillen, kaum sympathischen Figuren  – mit und ohne Migrantenhintergrund – oder dem Amok laufenden Schnitt, der die letzten Reste der sowieso schon spärlich vorhandenen Linearität zerhäckselt. Sich “Domino” zumuten, heißt nicht, dafür belohnt zu werden. Doch die Art und Weise, wie jedwede Konvention aus dem Fenster geworfen wird, wie zwei Autoren ihre Vorstellung von Rock ‘n’ Roll und Freiheit auf die Leinwand bannen und gleichzeitig der Künstlichkeit dieses Zeitalters ein aberwitzig flaches Spiegelbild vorhalten, ja, die ist irgendwie zu bewundern. Im Grunde haben sie Shakespeare wörtlich genommen: “Die ganze Welt ist Bühne/Und alle Fraun und Männer bloße Spieler/Sie treten auf und geben wieder ab/Sein Leben lang spielt einer manche Rollen/Durch sieben Akte hin.”

Nix Post-irgendwas

… das hoffe ich zumindest. Der neue Film von den Coen-Brüdern wird im aktuellen Trailer als waschechter Western verkauft. True Grit basiert immerhin auf derselben Buchvorlage wie Henry Hathaways Spätwestern “Der Marshall” mit John Wayne aus dem Jahr 1969. Ein kleines Mädchen will sich darin am Mörder ihres Vaters rächen und findet Hilfe bei einem alternden Marshall (Jeff Bridges in der Wayne-Rolle). Mit von der Partie sind außerdem Matt Damon und Josh Brolin. Deutsche Western-Aficionados müssen sich bis zum 13. Januar gedulden. Dann startet “True Grit” hierzulande. Abzuwarten bleibt, in welchem Ausmaß die Bachelorarbeiten über das aktuelle Western-Revival danach wie Pilze aus dem intellektuellen Boden schießen.

(via)

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lost.minds – catch up on everything

Ein kleines Musikvideo für die hervorragende (und nette) Band lost.minds aus Jena/Berlin. Dank Wolkenbruch und Generatorenausfall im dritten Anlauf ganz klassisch gedreht auf MiniDV mit einer Panasonic DVX-100BE und viel Ausdauer von Seiten des Hauptdarstellers. Nach dem Motto: HD ist für Pussies (oder Leute, die HD-Kameras besitzen).

Mein Dank geht an die Academy, die freundlichen Helferlein beim Dreh und Nobono-Norman, Schnittmeister und Kaffeespender vom Dienst.

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The Social Network (USA 2010)

Justin Timberlake hat die dankbarste Rolle in The Social Network. Als Napster-Erfinder Sean Parker stolziert er herum wie ein Paradiesvogel im grauen Programmierer-Alltag. Ein Lebemann ist er, den man nur einmal ansehen muss, um zu wissen, warum es ihm nach Ruhm und Reichtum giert. Parker schleppt die Frauen reihenweise ab. Selbst wenn er pleite ist, geht er noch in die teuersten Clubs. Zum Größenwahn gesellen sich bei ihm ganz traditionell Paranoia, Drogen, Exzesse aller Art. Sean Parker ist damit das genaue Gegenteil von Mark Zuckerberg (Jesse Eisenberg). Ebenso wie Eduardo Saverin (Andrew Garfield), die Winklevoss-Brüder (Armie Hammer x2) und wohl noch viele andere wird Parker auf der Strecke bleiben. Überholt von einem, dessen Motive komplexer sind, dessen Sättigungsgrad selbst nach Ende der 120 Minuten nicht in Sichtweite ist. Mark Zuckerberg kommt nicht aus prestigeträchtigem Hause wie die Zwillinge Winklevoss, er ist weder so umgänglich wie Eduardo Savarin, noch so exzentrisch wie Parker. Auf den ersten Blick steht einem da ein leeres Blatt Papier gegenüber, mit einem eigensinnigen Blick, ja, aber einer emotionslosen Fassade. Googelt man Bilder des realen Mr. Zuckerberg sieht man immer dieses breit grinsende Jungengesicht, welches sich problemlos in die eigene Freundesliste einreihen könnte. In David Finchers “Facebook-Film” wird man von diesem verschont. Auf eine Freundschaft mit Zuckerberg möchte man danach im Übrigen verzichten.

Doch Freundschaft ist relativ, darauf verweist schon die Tagline von “The Social Network”. 500 Millionen Freunde – das ist eine Zahl, die den Wahn der Freundschaftseinladungen, der allseitigen Vernetzung mit Grundschulantagonisten, Grüßbekanntschaften und tausende von Meilen entfernten Berühmtheiten überspitzt. Ich habe dreihundert Freunde, aber sie dreihundertfünfzig, er vierhundert und Mark, der Mark hat Fünfhundertmillionen – und gleichzeitig keinen einzigen am Ende des Tages, am Ende des Aufstieges, der Gerichtsprozesse, des Vermögenswertes von 6,9 Milliarden Dollar. Das macht 13,8 Dollar pro Facebook-User, keine große Zahl für einen Menschen. Wer trauert schon 13,8 Dollar nach oder – umgerechnet – rund 10 Euro. 10 Euro kann man verschmerzen. Verrechnet man nun Zuckerbergs reale Sozialkontakte in “The Social Network” mit ihrem derzeitigen Facebook-Wert, kommt man auf einen Verlust – innerhalb von 120 Minuten Laufzeit/ein paar Jahren (nur die “engen Freunde”) – von unter hundert Dollar. Das ist nichts.

Geld aber ist nicht der Antrieb von Zuckerberg. So wenig man der äußeren Erscheinung von Bill Gates die Milliarden anmerkt, so wenig ist das beim Facebook-Gründer der Fall. Zuckerberg sehnt sich nach Aufmerksamkeit, aber nicht die von der menschlichen Sorte. Es ist die abstrakte Variante, die welche durch “Beziehungen” entsteht, nicht in Beziehungen. Letztere sind schließlich viel zu kompliziert und verlangen ein Mindestmaß an Empathie. Deswegen will er in einen der Final Clubs in Harvard. Deswegen ersetzt in der ersten Szene des Films, der ersten und finalen Verletzung, im Rosebud-Moment sozusagen, deswegen ersetzt in diesem Moment, als sich seine Freundin von ihm im Streit trennt, der Wunsch nach “Beziehungen” vollständig den nach Beziehungen.

Zwei Szenen eröffnen “The Social Network” und bereiten auf das vor, was da kommen möge, beinhalten bereits alle wichtigen Elemente der charakterlichen Entwicklung und ihrer formalen wie inhaltlichen Ausgestaltung. Mark sitzt mit seiner Freundin in einem Pub. Das Dialogfeuer beginnt, welches erst kurz vor Ende des Films verstummen wird. Es geht um die Final Clubs und darum, dass selbst dieser Tisch im Pub “Beziehungen” zu verdanken ist. In wenigen Minuten werden Marks Prioritäten offenbar, die ihn blind gegenüber den Gefühlen anderer werden lassen. Doch andererseits: Häufig scheint er zu blinzeln, scheint er das emotionale Trampeltier absichtlich hervorgeholt zu haben, um dem tiefbeleidigten Trotz eines Fünfjährigen freien Lauf zu lassen. Dann die Titelsequenz: eine unspektakuläre eigentlich. Mark läuft abends über den Havard-Campus nach Hause. Seine Freundin hat gerade mit ihm Schluss gemacht. Er ist ganz allein unter all den Kommilitonen. Mittendrin und doch nur dabei. Mark geht nach Hause, um den ersten Schritt in Richtung Facebook zu tun und am Ende des Weges werden all die Leute, an denen er unbehelligt vorbei gegangen ist, die ihn keines Blickes gewürdigt haben, wohl in seiner Freundesliste stehen. Die Frage, die David Fincher und sein Drehbuchautor Aaron Sorkin aufwerfen, ist ganz einfach: Wird die 500-Millionen-Freundesliste den abendlichen Weg nach Hause weniger einsam machen?

“The Social Network” ist vieles, aber am wenigsten verdient er den Titel “Facebook-Film”. Mit “Citizen Kane” wird er schon verglichen, der auch vielmehr als nur ein William Randolph Hearst-Film ist. So tief in die Filmgeschichte soll hier nicht gegriffen werden. Nur kurz: Kane ist Sean Parker ähnlicher als Mark Zuckerberg. Zurück zu Fincher: “The Social Network” zeigt seinen Regisseur in bisher ungekannter Zurückhaltung. Nur wenige Spielereien blitzen hier und da auf, bei einem Ruderwettkampf etwa, stattdessen hat sich Fincher dem Drehbuch verschrieben. Und was für ein Drehbuch das ist! Drei Zeitebenen – die Entwicklung von Facebook parallelisiert mit zwei späteren Prozessen gegen das Mastermind dahinter – unvermittelt, allerdings virtuos zusammengeschnitten. Eine Vielzahl von Figuren quasselt zwei Stunden lang höchst pointiert über Rechtslagen, Harvard-Interna und Algorithmen. Dazu der minimalistische Trent Reznor-Sound, so unterkühlt wie der Protagonist, so leer wie die hedonistisch vor sich hin feiernde Generation in den Final Clubs und den Discos der 00er Jahre. Denn “The Social Network” ist nicht der “Facebook-Film”, “The Social Network” ist ein Bild der Zeit und Mark Zuckerberg ein Produkt derselben. Mark Zuckerberg ist modern, Sean Parker längst ein verstaubter Klassiker.