Nur ein Sommer (D/CH 2008)

Von der Platte in die Berghütte. Einen härteren Kontrast in Sachen Wohnumgebung könnte man sich zwar kaum vorstellen, doch Regisseurin Tamara Staudt verzichtet – anders als es häufig ihre Kollegen tun – glücklicherweise auf die Darstellung der Trabantenstädte als Betonhölle. Die vertraute Heimat der arbeitslosen Heldin Eva (Anna Loos) ist stets in warmes Sonnenlicht getaucht und eigentlich ganz hübsch. Wären da nicht die Abrissmaßnahmen nebenan.

Eva, eine 35-Jährige mit einem befremdlich gleichaltrig wirkenden Sohn und einem wesentlich jüngeren Freund, will endlich wieder selbst Geld verdienen. Das Angebot der Arbeitsagentur, sich als Melkerin für einen Sommer in der Schweiz zu verdingen, nimmt sie daher ohne großes Zögern an. Konfrontiert mit dem schweigsamen Käsemacher Daniel (Stefan Gubser) und einer Schar Milchkühe auf einer Alm irgendwo im nirgendwo der Alpen, findet Eva zu sich selbst, lernt die Liebe ihres Lebens und den Weg aus der Arbeitslosigkeit kennen.

Solche oder ähnliche Erwartungen stellt man zumindest an diese moderne Heimatkomödie, doch mehr als ein Teil der Entwicklungen anzureißen, gelingt dem Film nicht. Hier ein bisschen Komödie über kauzige Bauern, dort ein bisschen Selbstfindungsdrama über eine Frau mit einem Hang zur Bindungsangst, von der aber jeder „ein Kind haben will”. Am Ende ist da nicht mehr als die große belanglose Leere und ein paar nette Episoden.

Überzeugend ist Nur ein Sommer v.a. als Komödie, etwa als der gutaussehende Almnachbar Mehmed (Oliver Zgorelec) an Eva Gefallen findet und der ansonsten mürrische Daniel die Eifersucht für sich entdeckt. Vor dem Hintergrund der schroffen, nichtsdestotrotz schönen Landschaftsaufnahmen sorgt allenfalls das Zusammenspiel so unterschiedlicher Figuren – man möchte fast sagen „Kulturen” – für Unterhaltung. Verbunden wird das ganze mit einem genauen Blick für den Arbeitsalltag und die Käseherstellung. Ein uriges Gefühl vermittelt „Nur ein Sommer”, so dass man den Käse fast riechen, das Holz unter den Füßen knarren hören kann.

Dem unrhythmisch vor sich hin plätschernden Film kommt es aber leider nicht zu Gute, dass der Hauptdarstellerin jegliche Emotionalität abgeht. Die Idee, eine Berliner Schnauze auf eine Schweizer Alm loszulassen, mag zwar für ein paar Lacher sorgen. Doch wenn das Drama anklopft, bleibt Loos ausdruckslos. Selten wurde ein durchaus mit Potential versehener Film derart von den mehr als nur limitierten Fähigkeiten seiner Hauptdarstellerin sabotiert.

Auch erzählerisch kann der Film diese Schwäche nicht ausgleichen. Vor und hinter der Kamera trifft damit Unvermögen auf Unvermögen und wieder einmal fragt man sich, warum die eklatanten Mängel des  Drehbuchs nicht schon bei der Finanzierung aufgefallen sind. So ist Staudt nichts halbes und nichts ganzes gelungen, denn eine Idee allein reicht nicht. Es ist eben „nur” ein Sommer.

In einer gekürzten Fassung erschienen in der interkulturellen Hochschulzeitschrift Unique Jena.

[Mein Dank geht an den Schillerhof für die Akkreditierung.]

Forbidden Kingdom (USA/VRC 2008)

Der lang ersehnte Messias des modernen Martial Arts-Films ist Rob Minkoff mit Forbidden Kingdom nicht gelungen, auch wenn hier zwei lebende Legenden des Genres zum ersten Mal aufeinander treffen. Vor zehn oder fünzehn Jahren hätte man den Film drehen sollen, denn im Gegensatz zu ihren kinematografischen Alter Egos leiden auch die Knochen der größten Kämpfer unter der fortschreitenden Zeit. Einen durch und durch gelungenen Abenteuerfilm der Marke “Hollywood macht sich auf nach Asien” hat Minkoff dennoch zustande gebracht.

Als eine Liebeserklärung an sein Genre konzipiert, erzählt er die fast schon klassische Geschichte eines Filmfans, der sich unverhofft an der Seite seiner verehrten Helden wiederfindet. Jason Tripitikas (Michael Angarano) ist ein Geek in Sachen Kung Fu-Film, der ganz wie Bastian Balthasar Bux von seinem Altersgenossen Lupo und dessen Bande drangsaliert wird. Eines Tages entdeckt er beim heruntergekommenen DVD-Händler seines Vertrauens einen geheimnisvollen Stab. Als Lupo den Laden ausrauben will, entkommt Jason mit dem Stab, doch nicht bevor der alte, weise und sehr nach Jackie Chan aussehende Händler ihn damit beauftragt hat, das gute Stück zu seinem rechtmäßigen Besitzer zurück zu bringen. Den Stab in seinen Händen, findet sich Jason flugs im alten China wieder. Mit Hilfe des stets betrunkenen Lu Yan (Jackie Chan), eines wortkargen Mönchs (Jet Li) und der schönen Golden Sparrow (Liu Yifei) begibt er sich auf die gefährliche Reise.

Vom mit Kung Fu-Filmpostern bestückten Vorspann bis hin zur Geschichte, welche vom chinesischen Literaturklassiker Die Reise nach Westen inspiriert zu sein scheint, webt der Film ein Netz der Selbstreferenzialität um die eigentliche Attraktion: Das Aufeinandertreffen der Ikonen Jet Li und Jackie Chan. Für knapp sechs Minuten lässt der Film sie auch das machen, was die Fangemeinde wohl schon immer mal sehen wollte: Sie kämpfen gegeneinander. Spätestens in diesen filmhistorisch bedeutsamen Minuten kann man die Macher nur dafür loben, dass sie mit dem Action Director Yuen Woo-Ping (“Once Upon a Time in China”, “Tiger & Dragon”, uvm.) und dem Kameramann Peter Pau (“Tiger & Dragon”, “The Killer”) zwei Veteranen des Genres für den Film gewinnen konnten. Gerade auf Grund des Alters der beiden Helden verlässt sich der Film zwar allzu sehr auf Wire fu, doch dank des Personals hinter der Kamera sieht es ziemlich ansehnlich aus. Wer über die offensichtliche Künstlichkeit der Drahtseilakte hinweg zu sehen vermag und den Film als das erkennt, was er ist – eine Teenager-Fantasie im Wuxia-Stil – der wird mit einem überaus unterhaltsamen Actionfilm für die ganze Familie belohnt werden.

Die Stars wussten jedenfalls, für welchen Film sie da unterzeichnet hatten. Beide präsentieren sich in bester Spiellaune. Die Zusammenarbeit ihrer perfekt auf die jeweilige Filmpersona zugeschnittenen Figuren – Säufer (Chan) und Mönch (Li) – gestaltet sich naturgemäß nicht reibungslos, was dem komödiantischen Element des Films wiederum zu Gute kommt. So gut ist das ganze, dass gar ein Buddy Movie der beiden vorstellbar wäre. Gerade die Idee, die beiden Meister sozusagen als Mr. Miyagis für Jason aufzubauen, darf als Gewinn angesehen werden. Der Traum des Filmfans, seine Martial Arts-Heroen als Lehrer zu gewinnen, wird dadurch erst perfekt, schließlich könnten Jasons Bruce Lee-Poster ebenso gut die Herren Li und Chan zeigen.

Ob Bambuswald, Gebirge oder Wüste, wenngleich Forbidden Kingdom nicht ohne die obligatorischen Spezialeffekte auskommt, weiß Minkoff die bildgewaltige chinesische Kulisse seines Abenteuerfilms auch visuell einzufangen und liegt dabei ganz in der Tradition der chinesischen Wuxia-Filme der letzten Jahre. Überdurchschnittlich eingängig wird das ganze von David Buckleys Score untermalt.

Das Martial Arts-Rad neu erfunden hat Minkoff zwar nicht, an seinem Film gibt es dennoch nichts auszusetzen. Aus solch einer abgedroschenen Ausgangskonstellation (Teenager reist in die Vergangenheit) einen dermaßen detailverliebten, sympathischen Abenteuerstreifen zu basteln, das grenzt schon fast an Zauberei. Ein sehenswertes Denkmal für das Genre und seine Helden, erzählt aus der Sicht des Fans ist der Film auf jeden Fall. So bleibt einem am Ende nur, die befriedigte Einladung auszuprechen: Come drink with me!

John Rabe (D/F/VRC 2009)

Nanjing ist “in”, könnte man etwas flapsig über aktuelle thematische Trends in der internationalen Filmszene urteilen. Gemeint sind hier jedoch nicht Reisedokus über die ehemalige chinesische Hauptstadt, sondern Auseinandersetzungen mit einem der kontroversesten Ereignisse der jüngeren Weltgeschichte: Das Massaker von Nanjing im Winter 1937/38 durch die japanischen Streitkräfte. Die konträren Einschätzungen der Vorgänge verdeutlichen schon die Bezeichnungen des Massakers auf japanischer und chinesischer Seite. Erstere sehen den “Nanking Vorfall” als treffend an, während in der chinesischen und auch westlichen Welt meist von der “Vergewaltigung Nankings” die Rede ist. Die Geschichte der Rezeption des Massakers ist lang, verworren und von politischer Instrumentalisierung auf beiden Seiten geprägt. Wer mehr darüber erfahren will, sollte besser hier nachlesen.

In den letzten zwei Jahren häufen sich jedenfalls filmische Auseinandersetzungen mit den schrecklichen Ereignissen, bei denen je nach dem, wen man konsultiert, zwischen 40.000 und 340.000 Menschen ermordet worden sind. Die Dokumentation Nanking von Bill Guttentag und Dan Sturman eröffnete vor zwei Jahren den Reigen, der von Roger Spottiswoodes The Children of Huang Shi (2008) weitergeführt wurde und dieses Jahr wohl mit dem rein chinesischen Beitrag The City of Life and Death (Originaltitel: “Nanjing! Nanjing!”) von Lu Chuan seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Florian Gallenbergers John Rabe reitet ein wenig mit auf dieser Welle und versucht alles, um auch dem letzten Zuschauer klar zu machen, dass der Titelheld der “Oskar Schindler Chinas” ist. Keinesfalls sollen hier die Verdienste Rabes, der als Leiter der internationalen Sicherheitszone rund 200.000 Leben rettete, geschmälert werden. Doch was Gallenberger mit seinem an Hollywoodstandards orientierten Drama auf die Kinosäle der Republik losgelassen hat, ist ein höchst pathetisches ‘Filmemachen nach Zahlen’ der allerschlimmsten Sorte.

Ausgehend von dessen Tagebucheinträgen, erzählt der Film von John Rabe (Ulrich Tukur), der als Chef der Siemens China Co. kurz vor seiner Rückkehr nach Deutschland steht, bis der chinesisch-japanische Krieg die Hauptstadt Nanjing erreicht. Als ein Mitglied der NSDAP, das freilich auch an seinen Führer glaubt, ist Rabe der Inbegriff deutschen Ordnungssinnes, der pedantisch darauf achtet, dass seine chinesischen Arbeiter den Hitlergruß aus dem Effeff beherrschen. Der perfekte Held für einen deutschen Blockbuster also. Nun, vielleicht eher nicht, aber Florian Gallenberger, der auch das Drehbuch geschrieben hat, löst das Identifikationsproblem, indem er Rabe einen unsympathischen “Klischee-Nazi” gegenüberstellt. “Feuer frei!” also für die Heldengeschichte, die – und das ist Gallenberger positiv anzurechnen – mit einiger Verzögerung beginnt. Zwar rettet Rabe zunächst einige Chinesen vor den  Bombardierungen der Japaner, in dem er sie unter einer gigantischen Hakenkreuzfahne verstecken lässt, doch im Großen und Ganzen begegnet er dem japanischen Zerstörungswillen mit einiger Naivität. Parallel dazu zeigt der Film nämlich die pläneschmiedenden Japaner vor den Toren der Stadt, die gar nicht daran denken, Gefangene zu machen.

Von den noch verbliebenen Ausländern auf Grund seiner deutschen Herkunft zum Chef der internationalen Sicherheitszone im inneren der Stadt gewählt, sieht Rabe sich bald mit hunderttausenden Flüchtlingen konfrontiert und dem brutalen Vorgehen der Japaner unter Führung des rücksichtslosen Prinzen Asaka (Teruyuki Kagawa aus “Tokyo Sonata”). Ihm zur Seite stehen Dr. Robert Wilson (überragend sarkastisch: Steve Buscemi), der seinen anfänglichen Unwillen, mit einem Nazi zusammen zu arbeiten, bald überwindet, der Diplomat Rosen (Daniel Brühl, der sich hier mal wieder selbst spielt) und die Leiterin eines Mädcheninternats, Valérie Dupres (Anne Cosigny aus “Schmetterling und Taucherglocke”).

Gallenberger schenkt seiner eigentlich recht fähigen Besetzung leider eine Unmenge miserabler Dialoge, so dass ein Großteil des Films aus pathetischer Selbstreflexion über das eigene Schicksal besteht. Beginnen also die weinenden Geigen ihren Gesang, lauert schon der nächste dramatische Wortaustausch. Fragwürdige Höhepunkte von Gallenbergers vorhersehbaren Drehbuchkniffen sind jedoch mehrere Abschieds- und Wiedersehenssequenzen, die Michael Bay und speziell dessen ‘Meisterwerk’ “Pearl Harbor” alle Ehre machen.

Das alles wäre mit einem charismatischen Hauptdarsteller wie Tukur ja noch zu ertragen, wenn der Film wenigstens ein minimales Interesse an dem eigentlichen Massaker oder auch nur den betroffenen Chinesen hegen würde. Es ist wohl kein gutes Zeichen, wenn man John Rabe nicht einmal anmerkt, dass er in China gedreht wurde. Soll heißen, dass Gallenberger nie den behaglichen europäischen Kolonialbauten entkommt, in dem unsere westlichen Helfer residieren untergekommen sind. Die Betroffenen sind nicht mehr als die anonyme Masse, die zum Schlachter geführt wird. Damit greift Gallenberger Darstellungsweisen auf, die spätestens seit Aufkommen der “Gelben Gefahr” durch westliche, besonders amerikanische, Filme gepflegt werden. Jüngstes mediales Beispiel dessen ist die einigermaßen überhebliche Berichterstattung über die Olympischen Spiele in Beijing, speziell die Eröffnungszeremonie.

Chinesen sind in “John Rabe” v.a. dazu da, um 1. von den zivilisierten Westlern belehrt, 2. von den Japanern hingerichtet oder 3. von den zivilisierten Westlern vor 2., aber nicht 1., gerettet zu werden. Der äußerst ehrenwerte Versuch, eine bedeutsame chinesische Figur einzuführen, soll hier allerdings nicht unterschlagen werden. In Gestalt der Internatsschülerin Langshu (Zhang Jingchu) versucht Gallenberger, die Brücke zwischen Sicherheitszone und Massaker herzustellen. Doch nie gelingt es ihm, mehr als nur Oberflächlichkeiten auf die Leinwand zu bannen, da Langshu über weite Strecken des Films verschwindet und am Ende ganz dem Klischee entsprechend zum love interest von Brühls Figur degradiert wird. Die reine Verschwendung eigentlich, da Zhang erst kürzlich in “Beast Stalker” gezeigt hat, was in ihr steckt.

John Rabe ist ein Film über John Rabe, deswegen wird er ja nicht unter dem Namen “Nanking” verkauft. Da Gallenberger sich aber zu keiner Zeit von den Beschränkungen seines Drehbuchs befreit, wird sein Film den Taten seines Titelhelden im Angesicht des Grauens bedauerlicherweise nicht gerecht. Am Ende bleibt nicht mehr als die dramatische, aber leere Geste.

Sunshine Cleaning (USA 2008)

Familiäre Querelen bilden den Stoff aus dem die Träume amerikanischer Independent-Filme gehäkelt werden. Zumindest, wenn man diejenigen betrachtet, welche irgendwie in den Mainstream einzudringen in der Lage sind. Was ihre Indie-Gebärden eigentlich schon wieder in Frage stellt, aber zurück zum Thema: Sunshine Cleaning, inszeniert von der Neuseeländerin Christine Jeffs (“Sylvia”), reitet freudig auf der “Little Miss Sunshine”-Welle. Mal wieder eine akut dysfunktionale Familie mit verschrobenen, aber liebenswürdigen Mitgliedern, die sich durch eine Skurrilität nach den anderen quälen, um am Ende irgendwie doch wieder zusammenzufinden. Happy End im Indie-Himmel eben. Nun gut, so einfach macht es sich Jeffs nicht. Leider. “Sunshine Cleaning” ist nämlich trotz all der Ingredienzen nie ganz sicher, ob es eine bizarre Komödie oder eine tränenreiche Tragödie sein will. Als Tragikomödie will der Film nämlich nicht recht überzeugen.

Dabei ist die High Concept-Prämisse und besonders die Besetzung eigentlich höchst vielversprechend: Zwei ungleiche Schwestern (wie viele Inhaltsangaben beginnen wohl so?) kämpfen sich durch ihr mehr oder weniger  stark ausgeprägtes Loser-Dasein. Die “alternative” Norah (Emily Blunt, die aussieht wie eben alternative Twen-Frauen aussehen) schlägt sich wenig erfolgreich als Kellnerin durch und verliert gleich zu Beginn ihren nicht gerade vielversprechenden Job. Währenddessen träumt die “bürgerliche” Rose (Amy Adams) vom gesellschaftlichen Aufstieg, doch zu mehr als einer Anstellung als hochwertige Putze und einer Affaire mit einem verheirateten Mann (Steve Zahn) hat sie es leider auch nicht gebracht. Ihr Sohn Oscar sorgt derweil für Unruhe in seiner Schule, weil er alles ableckt (zum Glück will er keine Schönheitskönigin werden) und Vater Joe (Alan Arkin) kann in Sachen geschäftlichem Erfolg auch nicht gerade als Vorbild dienen. Als Rose ihren missverstandenen Sohn auf eine Privatschule schicken will, braucht sie dringend Geld. Ihr Lover und Cop Mac bringt sie auf eine lukrative Idee: Warum nicht einen Reinigungsdienst für menschliche Überreste an Tatorten und in den Wohnungen Verstorbener gründen?

Absonderliche Gewerbetreibende wie die beiden Schwestern Lorkowski gehören gemeinhin zu den Spezialitäten britischer Filme, man denke an “Grasgeflüster” oder “Irina Palm”. Im Gegensatz zu Brenda Blethyn und Marianne Faithfull müssen Blunt und Adams allerdings mit einem inkohärenten Drehbuch auskommen, welches kaum jemals den zünftigen schwarzen Humor in die tragischen Familienverwicklungen zu integrieren weiß. Dass der blutige Job der beiden sehr bald zur reinen Plot-Maschine mutiert, nimmt auch noch den Spaß an der ganzen Sache. Denn als hätte ein mittelmäßiger Drehbuchratgeber Pate gestanden, wird Norah bei der morbiden Arbeit mit dem Tod ihrer Mutter konfrontiert; lernt Rose (über die Arbeit) einen netten einarmigen Verkäufer kennen (man, ist das skurril!); dient der Reinigungsvorgang als recht billige Metapher für die Auseinandersetzung mit der Familienhistorie.

So verzückt man bei der Vorstellung, Emily Blunt und Amy Adams tragen stinkende Matratzen durch die Gegend, auch glucksen will, verliert sich der fast schon hinreißend gestartete Film bald in diversen Handlungssträngen, die er entweder nicht zum Ende bringt oder erst gegen Ende aufnimmt. So ist Blunt diejenige, die über den Tod der Mutter offensichtlich nicht hinweggekommen ist, doch einigermaßen unmotiviert darf Adams diesen Konflikt mit einem unglaublich blödsinnigen Funk-Gespräch in den Himmel zum Ende führen. Wer einen mehr als nur akzeptablen Film über zwei ungleiche Geschwister mit einem Mutterkomplex und einem Hauch Melo-Kitsch sucht, sollte jedenfalls auf Curtis Hansons unterschätzten In den Schuhen meiner Schwester zurückgreifen. In dem scheinen die Gefühle wenigstens echt, müssen sich die glaubwürdiger gezeichneten Figuren nicht hinter Indie-Kunstgriffen verbergen.

Klingen die Worte dieser Kritik ein wenig giftig, so doch nur weil hier zwei der besten Schauspielerinnen ihrer  jeweiligen Generationen auftreten und keine von beiden sonderlich beeindrucken kann. Emily Blunt und Amy Adams spielen routiniert und solide. Das ist vielleicht bei einem altgedienten Veteranen wie Alan Arkin noch akzeptabel, der nichts mehr zu beweisen hat. Da der allzu unkonzentrierte Film nicht mehr zu bieten hat als die beiden, muss im nachhinein eine Enttäuschung von nicht zu unterschätzender Größe Einzug halten. Die beiden Hauptdarstellerinnen mit unnötig vielen – wenn nicht gar nervenden – Heulszenen zu bedienen, verleitet am Ende auch noch zum ungeduldigen Herumrutschen im Kinosessel. Wann ist das mal ein gutes Zeichen?

Breaking News (HK/VRC 2004)

Die Hongkonger Polizei steckt in einer Publicity-Krise. Soeben ist die Überwachung einer Bande von Gangstern zu einer blutigen Schießerei in den Straßenschluchten der ehemaligen Kronkolonie ausgeartet. Die Medien haben das Desaster naturgemäß eingefangen, das Versagen angeprangert. Die Gangster sind nämlich auch noch entkommen. Kommissar Wong (Simon Yam) beauftragt die in Publicity-Fragen versierte Rebecca Fong (Kelly Chen) mit der Schadensbegrenzung. Um die Berichterstattung der Medien nach ihren Gunsten zu lenken, versorgt sie das Fernsehen gleich selbst mit dem Sendematerial: Polizeieinheiten werden kleine Kameras verpasst, die Aufzeichnungen musikalisch untermalt und effektheischend wie in einem Task Force-Werbefilm zusammengeschnitten. Währenddessen spürt Cop Cheung (Nick Cheung) die Flüchtigen (u.a. Richie Ren) in einem Wohnblock auf und eine kräftezehrende Belagerung beginnt.

Als Mediensatire wird Johnnie Tos Breaking News ebenso gern gelobt wie kritisiert. Eine offene Einladung dazu bieten in gewisser Weise der Plot und erst recht die TV-Schnipsel, welche To à la Zapping International komplett mit Rauschen immer mal wieder einfügt, um die Medienberichterstattung sozusagen als parallele Realität in den Film zu integrieren. Dass “Breaking News” die gegenseitige Instrumentalisierung von Medien, Polizei und Gangstern hin und wieder mit einem ironischen Unterton kommentiert, erhebt den Film allerdings noch lange nicht in den Status einer Mediensatire. Es ist, betrachtet man den 90-Minüter, auch zweifelhaft, ob es To und seinem Milkyway-Team überhaupt darum geht. Etwas schmunzelt man schon, wenn die auf Imagepflege bedachte Polizei bei der Belagerung eine Mittagspause einführt, ganz uneigennützig die wartenden Journalisten mit verköstigt und die Gangster der Öffentlichkeit anschließend ihr eigenes gemütliches Essen mit einem als Geisel gehaltenen Vater und seinen beiden Kindern präsentieren. Doch irgendwie führt das alles zu nichts. Zumindest wenn man am Ende so etwas wie eine Pointe der Satire erwartet. Wenn To Gesellschaftsstrukturen kritisch anpackt wie beispielsweise im “Election”-Doppelschlag, sieht das Endergebnis anders aus.

Zunächst einmal befriedigt Breaking News – keine große Überraschung bei dem Regisseur – aber als kurzweiliger Actionthriller. Zwar fehlt es dem Film ganz und gar an der melodramatischen Überdrehtheit eines “Fulltime Killer”, dem düsteren Nihilismus von “The Longest Nite” oder auch dem Zeitlupen-Heroic Bloodshed aus “Exiled”. Doch wie üblich enttäuschen Tos Inszenierungskünste nicht. Vielmehr kann man es fast schon als etwas prahlerisch bezeichnen, wenn der Regisseur seinen Film mit einer sieben Minuten langen Plansequenz eröffnet. Es wird zwar nicht die letzte des Films sein, doch sicher ist der Auftakt ungemein spektakulär. Orson Welles und Robert Altman hat man es aber auch verziehen.

Gemächlich wandert der ungeschnittene Blick von der Skyline der Stadt auf eine gewöhnliche Straße, um nach der Etablierung des Schauplatzes sofort in die Wohnung der Gangster zu schwenken, die sich zum Aufbruch bereit machen. Hinab geht es dann wieder zu den observierenden Polizisten im Auto. Schwenk für Schwenk, Fahrt für Fahrt baut To langsam die Spannung bis zur Schießerei auf, die immerhin vier Minuten auf sich warten lässt. Die Gangster verlassen das Gebäude, misstrauische Blicke werden ausgetauscht, arglose Streifenpolizisten mischen sich ein. Fast scheinen die Uniformierten beruhigt, ihr Leben gerettet, doch ein einziger Fingerzeig genügt und der Sturm bricht los. Von einer Front zur nächsten schnellt die Kamera, während der Schusswechsel seinen Lauf nimmt, ohne dabei die Hektik der frühen Filme des Regisseurs oder anderer HK-Größen anzustreben. Die Ästhetik ist bis ins Detail kontrolliert, also zu keiner Zeit diffus, denn “Breaking News” zeigt Johnnie To im Mantel des Marionettenspielers. Eine Vorgehensweise ist das, welche die Distanzierung des Zuschauers nicht notwendigerweise mit einschließen muss.

Betrachtet man etwa The Mission (1999), einen Actionfilm, der einem architektonischen Grundriss voller diffizil aneinander gefügter geometrischer Formen gleicht, brilliert der formal überragende Regisseur da ebenso durch eine vergleichsweise subtile Figurenzeichnung. Eine solche geht “Breaking News” allerdings ab. SchauspielerInnen wie Kelly Chen, Nick Cheung oder Richie Ren gehören in variierenden Graden leider zum Typ “kühle Fassade”. Es wäre also gewagt, zu behaupten, der Film ringe dem Zuschauer irgendeine Form emotionaler Involvierung ab. Andererseits handelt es sich hier wohl um Tos abstrakteste Auseinandersetzung mit seinem Lieblingsthema: Das Schicksal. Denn das in den ersten sieben Minuten geschilderte Geschehen setzt wie der Finger eines erbarmungslosen Dominospielers eine geradezu unabänderliche Ursache-Wirkungskette in Gang, perfekt visualisiert durch das verbindende Element des Kameraauges.

Gerade Tos Gangsterfiguren sind unfähig, dauerhaft von ihrem Weg abzukommen und einen anderen zu wählen. Es ist dieser Pfad – im Grunde vergleichbar mit der in Infernal Affairs zitierten Avici-Hölle – den Figuren wie Blaze, Lok, Jimmy und Co. mehr oder weniger freiwillig bis zum Ende gehen. In der Trilogie von Alan Mak und Andrew Lau liegt das angehäufte Karma dem Schicksal der Figuren zu Grunde. Das führt die Story soweit, dass quasi jede böse Tat mit dem Tode oder der Hölle auf Erden bestraft wird; ein Schema, welches besonders mit Kenntnis des zweiten Teils ersichtlich wird. In Running on Karma (2003) ging To einen Schritt weiter als seine Kollegen und behandelte Karma als eine sich über Generationen hinweg auswirkende Kraft.

Vielfach bilden die Tätigkeiten des organisierten Verbrechens jedoch den Rahmen seiner Explorationen. Variierend zwischen den klassischen HK-Gangstern, welche wie mittelalterliche Schwertkämpfer ihrem Kodex ohne Rücksicht auf die eigene Person folgen, und berechnenden, machtgierigen Bossen, sind seine Figuren in den Mechanismen der Schwarzen Gesellschaft gefangen. Die so gut wie vollkommene Abwesenheit handelsüblicher Motive der Gangster in Breaking News bestätigt Tos in diesem Fall geradezu radikal abstrakte Herangehensweise an das Thema. Austauschbare Hauptdarsteller schultern hier Rollen, die nicht viel mehr als die Bezeichnung “Gangster” oder “Polizist” verdienen. Durch die Strukturen ihrer jeweiligen Institution (Triaden/Unterwelt und Polizei) vorbestimmt, müssen Gangster Raubüberfälle und Auftragsmorde begehen und die Polizisten sie eben bis zum bitteren Ende jagen. Ein Abweichen ist durch die Regeln des Spiels ausgeschlossen, was der Film noch einmal unterstreicht, wenn Cop Cheung während einer Schießerei auf die Frage “Und warum wirst du nicht Killer?” zurückfragt “Je daran gedacht, Polizist zu werden?” und sich anschließend beide Seiten darüber herzlich amüsieren.

To ist ein Regisseur, dem man kaum Abgehobenheit vorwerfen kann. Jedem noch so ausgefallenen Stoff, jeder noch so auffälligen Auseinandersetzung mit der Gesellschaft Hongkongs oder buddhistischen Glaubenskonzepten versetzt er einen Schuss Zugänglichkeit. “Breaking News” mag zwar bei näherem Hinsehen wie ein reichlich trockenes, formales Experiment eines allzu selbstsicheren Regisseurs wirken, dessen “Medienkritik” nicht über die To-üblichen Tricks hinauskommt. Doch glücklicherweise ist das Ergebnis dessen zumindest eine attraktive Ansammlung von Schauwerten. Ein Actionfilm eben. Leider einer der schwächeren des Meisters.


Eine Überdosis Plansequenzen für’s Wochenende:
Breaking News (Opening Shot)
The Player (Opening Shot)
Im Zeichen des Bösen (Opening Shot)
Hard-Boiled (Body Count from Hell)