Punished (HK 2011)

Punished Film-Poster

Punished Film-Poster

In Johnnie Tos Vengeance gibt es diesen Moment, in dem Francis Costello (Johnny Hallyday) seine Tochter nicht mehr erkennt und die drei von ihm engagierten Killer dem alternden Ex-Kollegen erklären müssen, warum, wieso, weshalb er sich auf einem Rachefeldzug befindet. Wird im dritten Teil der Hitman-Trilogie der Wunsch nach Vergeltung weitervererbt, nachdem sein Ursprung verschwunden ist, nähert sich Law Wing-Cheongs Punished der Rache als Mittel der Selbstkasteiung. Zusammen mit Cheang Pou-Sois Accident bilden “Punished” und “Vengeance” ein faszinierendes Tryptichon aus dem Hause Milkyway Image, welches die Facetten des Themas mit unterschiedlichen Resultaten auslotet. Punished geht im direkten Vergleich als konventioneller, nichtsdestotrotz ungewöhnlichster Beitrag der Produktionsfirma von Johnnie To und Wai Ka-Fai hervor. Denn der Film kommt ohne den üblichen Milkyway-Style aus, besticht nicht durch Set Pieces, sondern gibt sich als nüchterne Charakterstudie.

Im Mittelpunkt des Geschehens steht der rücksichtslose Geschäftsmann Wong Ho-Chiu (Anthony Wong), der mit Immobilien sein Geld verdient und vor illegalen Methoden nicht zurückschreckt. Wong ist ein Kontrollfreak und damit ein echter Milkyway-Held, dem im Verlauf des Films die Zügel aus der Hand genommen werden. Seine Tochter Daisy (Janice Man) wird entführt und gleich zu Beginn erfahren wir – und das ist kein Spoiler – dass die junge Frau die Entführung nicht überlebt. So wird die geradlinige Erzählung bereits in den ersten Minuten zugunsten unvermittelter Zeitsprünge aufgegeben, die dem Film die Dynamik anderer Rachethriller verwehren. Aber Punished ist sowieso kein gewöhnlicher Rachethriller und nur bedingt ein “Thriller”. Wir wissen um das Schicksal Daisys, bevor wir ihre nicht sonderlich einnehmende Persönlichkeit kennenlernen. Sie ist die Ausgeburt der Teenager-Rebellion in ihrer nervigsten Form, schmeißt das Geld ihres Vaters für Koks und Klamotten raus, beleidigt ihre verständnisvolle Stiefmutter aus einem einzigen Grund (sie ist die Stiefmutter), benimmt sich alles in allem unerträglich. Unwesentlich vorteilhafter kommt ihr Vater weg, der seine Geschäftsmethoden auf das Familienleben ohne Hintergedanken überträgt, seinem Sohn vorschreibt, was er zu studieren hat und seine Frau als persönliche Assistentin (aus)nutzt. Man könnte auch sagen, die Figuren in “Punished” hätten ihr Schicksal verdient, dass die titelgebende Bestrafung, welche der Film austeilt, rechtens ist. Punished versinkt allerdings weder in der absoluten Hoffnungslosigkeit, noch in zynischen Attitüden. Das Drama – ja, es ist wohl am ehesten ein Drama – verdankt dies in erster Linie den Schauspielern und mit Abstrichen der erzählerischen Herangehensweise.

Anthony Wong ist spätestens seit Beast Cops ganz groß darin, Männer zu verkörpern, die an ihrer übertriebenen Maskulinität zu scheitern drohen. Manchmal reden sie viel, manchmal wenig, aber nur selten können sie das ausdrücken, was in ihnen vorgeht. Sie sprechen mit Taten und das hat meistens fatale Konsequenzen. Deswegen muss sich sein biestiger Cop zwangsläufig auf einen drogengeschwängerten Feldzug der Gewalt begeben, deswegen gedenkt sein Immobilienmagnat infolge des Todes seiner Tochter und seines Versagens als Vater sich einzig in Form der Rache Erleichterung verschaffen. Doch hier verlässt Punished die ausgetretenen Pfade des Genres. Anstatt wie Pierre Morels “Taken” den Erzeuger selbst zum Täter werden zu lassen, wählt Wong Ho-Chiu einen Weg, den ein Mann in seiner Position wohl wählen würde: Er beauftragt einen Angestellten. Während Chor (Richie Ren), ein ebenfalls von seinem Kind Entfremdeter, seinem Job methodisch kühl nachgeht, beobachtet der Boss auf seinem Smartphone die Folter und/oder Tötung der Beteiligten. Denn Rache erweist sich in “Punished” als abstrakte Idee, die nicht mit Emotionen angereichert werden kann. In ihrer Umsetzung gerät sie ebenso sinnlos wie der Tod Daisys. So verbleiben die gescheiterten Väter Wong und Chor mit dem Handy als unzureichendem Ventil für ihre Schuld, während der Film zum unsentimentalen Schluss kommt, dass manche Fehler schlicht nicht begradigt werden können. Obwohl sich “Punished” durch seine analytische Erzählweise und die für Genre-Fans wohl zu leidenschaftslose Aufbereitung der Rache und ihrer Folgen einiges an Immersionspotenzial verbaut, ist gerade dieser Ansatz erfrischend. Dabei greift der Film klassische Milkyway-Motive auf, um ihnen eine ungewohnte Wendung zu verleihen. Erscheinen die Professionals in vielen Werken der Produktionsschmiede als Gestrandete aus einer anderen Epoche, haben sich die Rächer in Punished allzu gut in der Moderne eingelebt und müssen nun mit den Folgen zurechtkommen. So ist der Film auch mit seinen Makeln eine Rachestudie für das neue Jahrtausend.


“Punished” ist bisher nur in Hongkong auf DVD (RC: 3) und Blu-ray (RC: A) erschienen und kann bei YesAsia erstanden werden.

Super 8 (USA 2011)

Super 8 Poster

Alles ist da und irgendwie nicht. Viel wurde über das nostalgische Potenzial von J.J. Abrams Super 8 geschrieben, doch positive Etiketten wie das der “Hommage” verpuffen schon nach wenigen Minuten bei der Entgleisung und Explosion eines Zuges in den Ebenen Ohios. Da können die Kids zuvor noch so oft mit ihren BMX-Rädern rumkurven, Konflikte mit ihren Eltern brodeln lassen und wie halb so große Versionen von Dawson Leery ihre Leidenschaft zum Film pflegen. Bei diesem für den Plot so entscheidenden Zugunglück wird der Zuschauer an den Haaren aus seinen Kindheitserinnerungen gerissen, um fortan wieder hinein gestopft, herausgerissen, hineingestopft zu werden. Das ist das Gefühl, “Super 8” zu sehen. Man glaubt sich in einem Werk eines besseren Regisseurs wieder zu finden, um dann doch wieder gekniffen zu werden, aufzuwachen und zu erkennen, dass dieser Film “nur” von einem stillosen Vertreter namens J.J. Abrams gedreht wurde, der statt Staubsauger, hochwertige kinematografische Imitate verscherbelt. “Super 8” ist nicht das viel gepriesene Sommerkino unserer Kindheit. Das gibt es nicht mehr, außer in beschönigten Erinnerungen und so ist es mühselig und fruchtlos in einem, diesem Film dabei zuzuschauen, wie er verzweifelt versucht, ein anderer sein. Denn J.J. Abrams hat mit Super 8 – und das offenbart sich eben schon bei besagtem Zugunglück – einen für die 2000er Jahre kalkulierten Blockbuster gedreht, keinen für die 70er, auch keinen für die 80er. Das aus diesem Mischvorgang der erinnerten Vergangenheit und der Anforderungen der Gegenwart entstandene Stück Film findet weder hier, noch dort festen Halt, wird schließlich von den Energien auseinandergerissen, die es hier und dort verwurzeln wollen.

Die Liste der Nachrufe auf das moderne Blockbusterkino ist lang und so stürzt man sich freudig auf einen neuen Film, der wie damals sein soll, der den frühen und nicht mehr ganz so frühen Spielberg präsent machen will, besser noch als es eine DVD von “E.T.” könnte. Ist das gegenwärtige Hollywood-Kino schon so tief unter der Erde, six feet under gewissermaßen, dass man sich als Liebhaber der amerikanischer Mainstream-Kost in die undurchdachte Simulation flüchten muss? Aus Abrams Holodeck hallt laut der Ruf JA und so liefert er uns den jugendlichen Protagonisten mit der zerrissenen Familie, das nicht weniger einsame Alien und die lustigen Kumpels. All das angesiedelt in einer Vorstadt, vollgepackt mit dem wissenden Gezwinker in Richtung früherer Filme des Executive Producers und eigentlich müsste der korrekt erzogene Spielbergianer freudig in seinem Kinosessel herumwippen. Das will uns zumindest Abrams Nachäffen von Shot-Kompositionen und inhaltlichen Motiven seines Mentors glauben machen. Deswegen hat Super 8 zuweilen etwas von einem Jahrmarktsartisten, der einem auf die Hand schaut und erzählt wie das früher war, als wir “Die Goonies”, “E.T.” und “Jurassic Park” zum ersten Mal gesehen haben. Was nützen unsere Erinnerungen aus dem Mund eines Fremden? Was nützt letztendlich eine aufgesetzte Referenzsammlung, die sich dermaßen darum bemüht, andere Zeiten heraufzubeschwören, dass sie es verpasst, selbst erinnerungswürdig zu sein, selbst einprägsame Einfälle zu produzieren, echte Emotionen heraufzubeschwören?

Wenn der Zug zu Beginn von Super 8 in einer vollkommen übertriebenen Spektakel-Situation entgleist, durch die Gegend fliegt, explodiert und unseren Protagonisten wie in einem Leslie Nielsen-Film zu verfolgen scheint, hat das nichts mit Spielberg zu tun und alles mit dem jüngeren amerikanischen Blockbusterkino. Das ist aber nicht tot, verändert sich höchstens, genau wie sich Steven Spielberg in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat. Den Mann, der “Die unheimliche Begegnung der dritten Art” drehte, gibt es nicht mehr, stattdessen müssen wir uns mit dem “Krieg der Welten”- und “München”-Spielberg begnügen und mit dem allein haben wir schon alle Hände voll zu tun. Davon werden die Reminiszenzen an Sonntagnachmittage im Familienkreis mit der VHS von “E.T.” nicht geschmälert. Das ist eben so. Die Zeit schreitet voran. Das Kino ebenso. Die Erinnerungen bleiben. Das macht uns aus. Das macht das Kino aus.


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Ein kleiner Text von mir zum Kino der Nostalgie bei moviepilot.

Exkrementelle Angst – Green Lantern (USA 2011)

DC-Entertainment ist im Kampf mit dem ewigen Konkurrenten Marvel nicht den leichten Weg gegangen. Statt „Flash“, „Wonder Woman“ oder andere bekannte Größen ins Kino zu bringen, setzten sie auf den zumindest außerhalb der USA wenig bekannten Green Lantern. In einem von Reboots, Sequels und Prequels beherrschtem Genre ist das eine durchaus spannende Wahl, die vor allen Dingen eines verspricht: der Zuschauer bekommt etwas zu sehen, was er noch nicht zur Genüge kennt. Doch die Enttäuschung könnte herber nicht ausfallen, denn eines hat der Film mit seinem Hauptdarsteller gemeinsam. Keiner von beiden kann mit einer originären Form von Kreativität punkten. So ist der Held im Besitz eines Ringes, der alles verwirklichen kann, was sich sein Träger vorstellt. Im Kampf erdenkt er sich aber nur Schwerter, Go-Cart-Bahnen oder riesige Fäuste. Sein Repertoire spiegelt stets wider, was er aus Filmen und seinem oder anderen Kinderzimmern kennt. Mit Green Lantern verhält es sich ebenso. Wenn man alles in einen Topf wirft, was in den letzten Jahrzehnten in Hollywood Erfolg hatte, gut umrührt und etwas von einem Comic über grüne Männer mit Laternen hinzufügt, dann kann das Ergebnis kaum anders aussehen. Das panische Fliehen von Menschen vor (über)natürlichen Katastrophen könnte direkt aus einem Roland Emmerich-Film stammen. Wie bei „Star Wars“ wird der Film von einer Moral bestimmt, in deren Zentrum die Beherrschung von Gefühlen steht. Und schon Topper Harley war nicht der erste  Jetpilot, der in Angststarre mit Flugzeug und Vater kämpfte. Die Liste könnte ewig weiter gehen. Vielleicht hatten Casino Royale-Regisseur Martin Campbell und seine Drehbuchautoren zu viel Angst. Doch der Reihe nach.

Unendliche Weiten. Ein Wesen namens Parallax, das sich pure Angst zu Nutzen gemacht hat, befreit sich und legt nach und nach das Universum in Schutt und Asche. Ihm steht das Green Lantern Corps entgegen, welches das Universum vor allem Bösen zu schützen trachtet. Doch gegenüber der übermächtigen, braunen Angstwolke, nicht unähnlich einem großen Haufen Kot, sind sie machtlos. Ein gefallener Green Lantern landet mit letzter Kraft auf der Erde, wo sich sein Ring, der mit der Essenz puren Willens angefüllt ist, einen würdigen Nachfolger sucht. Die Wahl des esoterischen Schmuckstücks fällt auf den verantwortungslosen, aber erfolgreichen Kampfjetpiloten Hal Jordan (Ryan Reynolds), der sich schnell beweisen muss, denn nicht nur Parallax gilt es zu besiegen. Auch den Wissenschaftler Hector Hammond (Peter Sarsgaard), der mit Teilen von Parallax infiziert wurde und mit den neugewonnen übernatürlichen Kräften Hals Umgebung bedroht.

Doch nicht die äußeren Schlachten stehen im Mittelpunkt von Green Lantern, sondern die inneren Kämpfe von Hal und Hector, die beide mit ihrem Vaterkomplex ringen. Jeder ist dabei der Spiegel des anderen, da sie sich den ganzen Film im Gleichschritt entwickeln, teilweise sogar in Parallelmontage dargestellt, und auf diametral entgegengesetzte Art mit ihren Minderwertigkeitsgefühlen umgehen. Das ganze Filmuniversum ist dabei die Externalisierung der Zwickmühle, in der sie gefangen sind. Parallax, der alle mit Angst paralysiert, stellt nichts anderes dar als die Furcht, dem Vater nicht gerecht zu werden. Auf der anderen Seite ist der protofaschistische Green Lantern Corps, der auf die Macht des Willens besteht und in Angst nur Schwäche sieht, die Über-Ich Instanz des Vaters. Hal wird von ihnen geradezu logisch als Feigling verstoßen, der eine Schande der Einheit wäre. In dieser zutiefst männlichen Welt gibt es also anscheinend nur ein Problem, den Vater.

Die schwache Umsetzung dieses Grundproblems wird dadurch das größte Problem des Films. Dieser externalisierte Vaterkomplex wird als allgültige Philosophie mit arroganter Penetranz dem Zuschauer auf die dümmste mögliche Art aufgedrängt. Die bedeutungsschwangeren, aber jämmerlichen Dialoge, in denen die Antipoden Angst und Wille immer wieder abgehandelt werden, hinterlassen einen mehr als flauen Nachgeschmack. Alle Probleme des Films werden zwanghaft auf zwei/drei Gefühle runter gebrochen. Der Wunsch der stoischen Philosophie des „Star Wars“-Universums eine ebenbürtige Weltanschauung gegenüberzustellen, scheitert eben daran, dass sich der Vorbilder zu deutlich bedient wird. Besonders da diese nicht ausbaut werden, sondern beschnitten. Beim Kampf mit Parallax kann schon einmal der Imperator vermisst werden, der Hal auffordert, sich seiner Wut hinzugeben. Green Lantern kommt so nie über den Status einer billigen Kopie hinaus.

„And cheapness (…) has nothing to do with the budget of the film, although it helps.“, hat Frank Zappa einmal gesagt. Green Lantern macht auf beeindruckende Weise deutlich, wie wahr dies doch ist. Die Hilfe eines geringen Budgets haben sie bei einem wahrscheinlichen Betrag von 200 Mio. Dollar nicht in Anspruch genommen. Trotzdem schaffen es die Macher, ein Feuerwerk an Kläglichkeit abzuschießen, dass es nur so eine Freude ist. Einzig die 3D-Bilder scheinen mit Verstand komponiert und sind nicht einfach nur aufgeblasenes 2D. Charaktere und Handlung sollen groß aufgebaut werden, doch jedes Potential verläuft sich im Sand. Lieblos wird sich auf die schwache Angstideologie gestützt, wodurch alles eindimensional bleibt. Alleine Ryan Reynolds schafft es, problemlos jeden Ansatz von Charisma zu umgehen, und führt so ein blasses Ensemble an, in dem Charaktermimen wie Tim Robbins oder Angela Bassett nicht einmal die Chance bekommen, ihre Figuren mit Leben zu füllen. Das alles wäre aber gar nicht mal ärgerlich, wenn wenigstens die Action stimmen würde. Doch alles zieht nur vorbei. Die Actionszenen enden, ohne dass Dramatisches geschehen ist. Sie hinterlassen bloß die Frage, ob das alles war. Green Lantern möchte alles sein, Fantasy-Charakterstudie und Actionspektakel, doch nichts davon wird überzeugend umgesetzt. Was bleibt ist ein riesiger Aufbau, der, zumindest die Trash-Fans wird es freuen, talentfrei in sich zusammenbricht.


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Harry Potter und die Heiligtümer des Todes Teil 2

Das war es also. Zehn Jahre voller Magie haben ein Ende. Hat man die Bücher von J.K. Rowling ins Herz geschlossen, hing beim Schauen der Filme immer die Hassliebe in der Luft. Auf der einen Seite die Kürzungen, Verfälschungen, auf der anderen die britische Schauspielgarde, die Welt der Zauberer, deren Grundstein – das muss zugegeben werden – Chris Columbus in seinen beiden Filmen gelegt hat. Harry Potter und die Heiligtümer des Todes Teil 2 läuft in den Kinos und es gibt kein zurück. In den sicheren Händen von David Yates seit “Harry Potter und der Orden des Phönix” hat die Reihe das Auf und Ab der Regiewechsel hinter sich gelassen und kommt nun zu einem unausweichlichen Schluss. Den vielschichtigen künstlerischen Ehrgeiz eines Alfonso Cuarón kann auch ein fähiger Regisseur wie Yates nicht bieten. Das Franchise hat dafür den sicheren Weg gewählt, so dass ein Totalausfall wie Newells “Harry Potter und der Feuerkelch” sich nicht wiederholen konnte. Selbst nach dem stellenweise enttäuschenden “Halbblutprinz” war im Mindesten ein ordentliches Finale zu erwarten gewesen. Genau das hat David Yates, aber ebenso Steve Kloves und das gesamte Team hinter den Harry Potter-Filmen abgeliefert. Mochte “Harry Potter und die Heiligtümer des Todes Teil 1” die atmosphärischere Hälfte sein, trägt der zweite Teil, der eigentlich der achte Teil, aber auch der siebte Teil ist, trägt also diese filmische Hälfte die Verantwortung, alles zu einem logischen und emotional fruchtbaren Ende zu führen, mit größter Fassung. Harry Potter und die Heiligtümer des Todes Teil 2, fortan der Einfachheit halber “Harry Potter 7.2” genannt, ist ein guter Film geworden, ein würdiger Abschluss einer Reihe, die quality cinema für das moderne Hollywood-Kino neu, weil jugendlich definiert hat.

Die Auseinandersetzung mit dem Tod treibt diesen achten Ausflug des jungen Zauberers auf die Leinwand an. Natürlich ist die Kraft der Freundschaft das moralische Licht am Ende des Filmtunnels, aber schlussendlich muss Harry allein in den Wald gehen, wie auch sein glitschiges Spiegelbild Voldemort in diesem Teil mehr noch als in allen anderen allein da steht. Daran ändert die Horde von Todessern nichts, ebenso wenig wie der Versuch, sich in Form von Horcruxen zu vervielfältigen. Überhaupt ist Harry Potter 7.2 gerechterweise genauso Voldemorts Film, was Ralph Fiennes für seine bisher nuancierteste, weil menschlichste Darstellung des Bösewichts nutzt. Schließlich bildet dieser nur die andere Seite ein und derselben Münze. Da ist der eine, der den Tod als Variable in der Lebensrechnung zu akzeptieren lernt und der andere, der dies nicht tut. Deswegen beginnt “Harry Potter 7.2”, wie der Vorgänger aufhörte: mit Gräbern. Voldemort, der eines öffnet und Harry, der Abschied von einem Freund nimmt.

Die Zweiteilung des siebten Harry Potter-Bandes stellt sich im Nachhinein gar als positive Entscheidung heraus. Der achte Film lebt vom fliegenden Wechsel zwischen Action- und Charakterszenen. Hier bleibt die Zeit für einen gequälten Drachen, der sich auf den Trümmern einer Bank im Londoner Himmel umsieht, und dem verzweifelten Röcheln eines Sterbenden hinter einer Glasscheibe. David Yates Händchen für Parallelmontagen, welches schon den trägen “Orden des Phönix” mit Schwung versorgte, kommt voll zum Einsatz. Gerade in einem alles erklärenden Flashback gelingt dem Film trotz oder gerade wegen der Änderungen eine eigene audiovisuelle Dynamik, wie man sie in der allzu buchtreuen Reihe seit dem fünften Film nicht mehr gesehen hat. Harry Potter 7.2 ist nicht die episodische Aneinanderreihung gekappter Erzählstränge aus einem anderen Medium. Obwohl komplette Handlungsstränge (Grindelwald & Dumbledore?) beim Abschluss der Reihe weggelassen wurden, fällt dies kaum auf. Immerhin bestand das siebte Buch von J.K. Rowling zu Großteilen aus Flashbacks und Büchern im Buch. Weniger filmisch ging es kaum.

Was “Harry Potter 7.2” zuweilen darnieder drückt, sind trotzdem aus der Vorlage übernommene Schwächen. Figuren, die Off-Screen sterben und dann beweint werden, gehören dazu, genau wie ein aufgesetzt wirkender Epilog, der die Reihe Make-up-technisch an seine unfreiwillig komischen Grenzen bringt. Die große Konfrontation kann wiederum nicht mithalten mit jenem machtvollen Duell der Elemente zwischen Voldemort und Dumbledore in “Harry Potter und der Orden des Phönix”. Am Ende kämpfen eben keine zwei Goliaths gegeneinander. Dennoch bleibt vergleichsweise wenig auszusetzen an Harry Potter 7.2. Doch wenn die Filme ihre eigene Vorlage erfolgreich überwunden haben, war dies meist in jenen eng mit der Muggle-Realität verknüpften Momenten zu beobachten.  Man denke nur an die fliegenden Zauberer über London, der aus dem Nichts erscheinende Dumbledore auf einem U-Bahnsteig und Hermine, die durch die menschenleere Vorstadt ihres früheren Heims läuft, nach dem sie sich aus den Erinnerungen ihrer Eltern gelöscht hat. Rarer gesät sind sie im letzten Film der Reihe. Das ist allerdings kein Wunder, machen sie doch den Vorgänger mit seinem Campingtrip ganz wesentlich aus.

Eine der Leistungen des letzten Harry Potter-Films bleiben die ruhigen Minuten, welche er seinen Figuren, selbst denen der Nebendarsteller zugesteht. Mit einem Personal wie Maggie Smith, Michael Gambon, Ciarán Hinds und Warwick Davis wäre alles andere eine Verschwendung. Selbst wenn die Schlacht um Hogwarts mit fortlaufender Spielzeit als Klassentreffen nach zehn Jahren Zerstreuung  gelesen werden kann (eine wortlose Einstellung für Miriam “Professor Sprout” Margolyes?), gibt sich Harry Potter 7.2 nur selten als pathetisches Massenspektakel in der Tradition von “Der Herr der Ringe: Die Rückkehr des Königs”. Grundsätzlich erzählt die Harry Potter-Reihe weniger vom epischen Kampf zwischen Gut und Böse, als vielmehr von ein paar Leuten, die Entscheidungen treffen und mit deren Folgen leben müssen. Harry Potter und die Heiligtümer des Todes Teil 2 befriedigt deswegen nach all den Jahren voller übersteigerter Erwartungen als Film. Der weist ein paar allein gelassenen Jungs, die zu Doppelagenten, Auserwählten und Tyrannen heranwachsen, mehr Bedeutung zu als der Tatsache, dass ein ungemein erfolgreiches Franchise endet.


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Transformers 3 (USA 2011)

Eine Fahrt in das Auge des Maschinenwesens. Aus den filigranen Innereien setzt sich die breitschultrige Ansage zusammen: Transformers 3. Das dreifache Ausrufezeichen muss mitgedacht werden. Dann beginnt das Aerosmith-Video. Wir folgen dem Hintern des unzureichenden Megan Fox-Ersatzes Rosie Huntington-Whiteley (ein Name, nicht für Filmposter gemacht, aber die brauchen keine Menschen) die Treppe hinauf. Das ist Michael Bay. Das ist ein Regisseur, der Filme aus Money Shots zusammensetzt, nicht aus Geschichten, nicht aus Emotionen. Ein Hintern mit nichtssagendem Gedudel unterlegt, ein Auto, das sich im Flug in einen Roboter verwandelt, eine Gruppe von schwitzenden Soldaten vor der amerikanischen Flagge. Das ist der Stoff, aus dem Michael Bay-Filme gewoben sind, oder sagen wir lieber: das sind die Fetzen, aus denen Transformers 3 besteht, denn ein homogenes Gewebe mit nahtlosen Übergängen kommt nicht zu Stande.

Der Hintern von Rosie Huntington-Whiteley also führt uns in die übersexualisierte Gegenwart, deren Frauenmode eher an 80er Jahre, an schlechte Miami Vice-Verschnitte erinnert. Räkelte sich Megan Fox noch verführerisch auf einem Motorrad und gebar so eine Symbiose von Männerträumen, wird ihre Nachfolgerin gänzlich mit einem Auto gleichgesetzt, wenn die Kurven eines Gefährts beschrieben werden, während die Kamera lasziv über die ihren gleitet. Doch Frau Huntington-Whiteley muss sich keine Sorgen machen, als einzige im Film zum Gegenstand herabgestuft zu werden. Vielmehr befindet sie sich in bester Gesellschaft mit einer Bay’schen Weltbevölkerung, die höchstens aus Attributen zusammengesetzt ist, wenn sie überhaupt ins Scheinwerferlicht darf. Denn menschliches Leid oder auch nur die Tatsache, dass im Laufe des Films mindestens Tausende von Menschen sterben, interessiert Transformers 3 nicht im Geringsten. Da steht die Frage tatsächlich im Raum, warum die Autobots gegen die bösen Decepticons überhaupt vorgehen. Fürchten sie die Materialschäden? Für die nimmt sich der Film umso mehr Zeit, wenn sich etwa ein durchaus beeindruckender Decepticon wie eine Krake um ein Hochhaus windet, es zerdrückt, dessen Innereien nach außen presst. Ein Augenschmaus ist die Sequenz in Einzelmomenten. Einer, den man als teure Powerpoint-Präsentation wahrnimmt, nur eben von der hintersten Bank des Klassenzimmers aus.

Michael Bay-Filme zu beschreiben, hat immer etwas von einem Déja-vu, zumindest seitdem sich sein Stil nach der Jahrtausendwende gefestigt hat. Bis auf ein paar längere Einstellungen hat sich die Inszenierungsweise seit dem ersten Teil des Transformers-Franchises nicht wesentlich gewandelt. Auch der erstmalige Einsatz der 3D-Technik hat daran nichts geändert, was sich insbesondere dadurch aufdrängt, dass die Dreidimensionalität überhaupt nicht ausgenutzt wird. Stattdessen das selbe alte Spiel, bzw. der selbe alte Stil. Powerpoint-Folie nach Powerpoint-Folie wird über die Leinwand gejagt. Denn Michael Bays Filme denken nicht in Bildfolgen, sondern maximal in einem Kader auf einmal. Sofern das Wort „Denken“ angemessen ist. Auch die dritte Robo-Schlacht vermittelt deshalb die meiste Zeit den Eindruck einer Warenpräsentation für potenzielle Käufer. Hier ein neues Feature, dort ein Schwenk über das neue Design. So erweist sich Transformers 3 schon in den ersten Spektakelszenen als Abfolge von Einstellungen, deren Montage von einem abwesenden Gespür für rhythmische Bewegungen in ihren rudimentären Formen zeugt.

Natürlich ist “Transformers 3” zuvorderst als Produkt gedacht, welches an die Massen gebracht werden muss. Kaum ein Filmemacher hat die Meriten des Blockbusterkinos allerdings derart auf diese eine Funktion heruntergebrochen, wie Michael Bay es in den Transformers-Filmen zur Schau stellt, speziell in Teil 2 und 3. Da hilft es nicht, dass Charakterdarsteller wie Frances McDormand und John Turturro für die Ausgestaltung des Hintergrunds zuständig sind. Ihnen wird ebenso wenig Menschlichkeit zugesprochen wie den gigantischen Robotern. Da fällt es gar nicht weiter auf, dass die Transformers nun sogar Blut verlieren, so dass der Streifen zu einer Art R-Rated-Reißer für Kiddies degeneriert. Einzig John Malkovich macht das Wesen von Transformers 3 zur Methode. Mit falschen Zähnen und uninspirierten Overacting-Einlagen ordnet er sich geflissentlich in die leblose Kulisse dieses Maschinenpornos ein.


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