Sex als Erhaltungsakt – Shame (USA 2011)

Brandon Sullivan (Michael Fassbender) ist ein Yuppie, wie aus dem Stereotypenhandbuch entsprungen. Er ist elegant, wortgewandt und erfolgreich, innerlich natürlich völlig leer und seine Gefühle hält er im hintersten Keller seiner Selbst unter Verschluss. Die Unterschiede zu Patrick Bateman (American Psycho) sind im Grunde marginal. Nur was dem einen das Morden/die Gewaltphantasien sind, ist dem anderen der Sex. Pervertiert durch ihr seelisches Vakuum externalisiert der eine seine Selbstverstümmelung, während der andere etwas sucht, das ihn ausfüllt, das ihm sein aalglattes Sein erträglich macht, welches nur vom knallharten Kampf um anonymen Erfolg bestimmt ist. Und wenn Brandon Sullivans Handlungen etwas deutlich machen, dann dass er jede Menge zu füllen hat.

Mit Shame möchte uns Regisseur und Drehbuchautor Steve McQueen (letzteres mit Abi Morgan) nun nicht weniger als ein erschöpfendes Psychogramm dieser inneren Leere bieten. Er zeigt die wunderschöne Fassade des erfolgreichen Geschäftsmannes, nur um sie ruhig und mitfühlend zu demontieren. Er zeigt seine Hauptfigur beim Wichsen unter der Dusche, beim Sex mit Prostituierten und mit Gelegenheitsbekanntschaften sowie seine von Pornos überquellenden Computer. Er zeigt die Scham, welche Brandon dazu bringt, seine letzte Regung von Menschlichkeit (den Sex) hinter Lügen und Geheimniskrämerei zu verstecken. Mit strengen und unerbittlichen Blick schaut McQueen auf die Geschehnisse und zeigt einen Menschen, der nicht mehr möchte als menschliche Wärme, der sie aber nicht zulassen kann, da die mit ihr entstehenden Gefühle ihm Angst machen. Denn sie bringen Verwundbarkeit, Schwächen und Fehler mit sich. Nichts was in sein verbissen errichtetes Selbstbild von überheblicher Perfektion passt. So bleibt ihm nichts als ein unbefriedigendes Substitut.

Mit welcher Kraft Michael Fassbender diese Figur mit Leben füllt, ist gelinde gesagt furchteinflößend. Seine Präsenz drückt jede andere Figur in den Hintergrund. Und genau das ist es, was Shame davor rettet, an seinem manierlichen und verkrampften Konzept zugrunde zu gehen. Denn anders als in Hunger, möchte Steve McQueen nicht einfach die Geschichte eines Mannes erzählen, sondern er möchte seine Hauptfigur von allen Seiten ausleuchten. Folglich ähnelt das Geschehen mehr einer Experimentierstation. Alle auftretenden Figuren scheinen keine andere Existenzberechtigung zu haben, außer eben Katalysatoren für Brandons Charakterisierung zu sein. Selbst seine Schwester, die wichtigste Nebenfigur, bleibt blass und schablonenhaft, obwohl sie von der wunderbaren Carey Mulligan gespielt wird. Keine ihrer Handlungen dient dazu, ihr Konturen zu geben, sie sollen nur die ihres Bruders vertiefen. Sie, die völlig von ihren Gefühlen bestimmt ist, zieht bei ihm ein, damit zu sehen ist, wie er auf Emotionen und Nähe reagiert. Sie erwischt ihn unter der Dusche, damit zu sehen ist, wie er auf Enttarnung reagiert, wie er wegen etwas scheinbar so lapidaren völlig von seiner Wut übermannt wird. Sie ist wenig erfolgreich und rastlos, damit zu sehen ist, wie herablassend er darauf reagiert und wie verbissen er seinem Erfolg alles andere opfert. Jede schwächere Darstellung eines Hauptdarstellers würde diese aufgedonnerte Kleinlichkeit in seiner Lächerlichkeit schmerzlich bemerkbar machen. Das Shame trotzdem mitzureißen vermag, liegt einzig und allein an Michael Fassbender. Alleine mit seinen Augen gibt er dem langsamen Abgleiten, der unaufhaltsamen Dekonstruktion der einzig lebendigen Person im Film eine beeindruckende Gegenwart, die alle anderen Schwächen fast vergessen macht.

Contagion (USA/UAE 2011)

Contagion Poster

Am Anfang steht der Betrug. Ein Telefongespräch am Flughafen, bevor Beth (Gwyneth Paltrow) ins Flugzeug steigt, um zu ihrem Ehemann Mitch (Matt Damon) zurück zu kehren und eine tödliche Krankheit in ihr Heim zu tragen. Es ist einer dieser typischen Soderbergh-Momente, der es gleich zu Beginn erschwert, den leichten Weg zu wählen. Es ist einer von vielen in Contagion, einem Virenthriller samt Star-Ensemble, welcher das von Krämpfen verzerrte Gesicht von Gwyneth Paltrow dazu nutzt, um eines von vornherein klar zu stellen: Alles ist möglich. War in Wolfgang Petersens “Outbreak” das Star-Gesicht des Dustin Hoffman noch die letzte Zuflucht des Zuschauers, die sichere Bank im totalen Chaos, das beruhigende “Alles wird gut”, instrumentalisiert Steven Soderbergh seine Paltrows, Damons, Winslets etc., um das zu tun, was er am besten kann: den Zuschauern den Boden unter den Füßen wegzureißen. Typisch für den Regisseur ist jedoch auch die Besonnenheit, welche Contagion vor dem Abdriften in dystopischen Survival-Horror bewahrt, der sich für gewöhnlich aus lauter Einfallslosigkeit in den Pessimismus flüchtet. Contagion analysiert, wie Gesellschaft in der Krise funktioniert oder eben nicht funktioniert und macht dabei keine Gefangenen.

Spätestens seit dem brillanten “Che”-Zweiteiler zeigt sich Soderberghs Filmografie fasziniert von alltäglichen Ritualen als Kit, der Gemeinschaften und Individuen beisammen hält. Da war der Revolutionär, der seine neuen Unterstützer einzeln mit Handschlag begrüßt, immer und immer wieder und ganz ähnlich seinem eigenen “Job” nachgeht, nämlich zu revolutionieren, um des Revolutionierens willen, immer und immer wieder, wie auch Matt Damon pathologisch Geschichten erzählt in “Der Informant” und Sasha Grey ihre Kunden mit der “Girlfriend Experience” versorgt. Contagion greift jene Motive auf und färbt die Rituale gewissermaßen ein, damit sie unter dem Mikroskop der Kamera stärker hervortreten, nur eben nicht rot oder blau, sondern mit einem Virus. So bekommt nach der mit Zuckungen am Boden liegenden Paltrow jeder Handschlag, jede hilfreiche Geste eine negative Konnotation. “Contagion” interessiert sich mit vielen pointiert eingesetzten Detailaufnahmen dafür, was passiert, wenn der Kit zur Bedrohung verkommt, wenn Individuen auf sich selbst zurückgeworfen werden. Dabei wird die Zerrüttung des gesellschaftlichen Zusammenhalts geruhsam und Schritt für Schritt verfolgt, vom ersten Handyvideo eines Sterbenden bis hin zu Hamsterkäufen, Massenpaniken und Gewaltverbrechen.

Der Soderbergh’sche Heldentypus der vorangegangenen Werke findet hier seine Entsprechung in den Figuren von Laurence Fishburne, Kate Winslet und Jennifer Ehle. Fisburne mit seinem Dr. Cheever gibt den ruhigen Vertreter der amerikanischen Gesundheitsbehörde, so einen Unbestechlichen, den man sich in alle bürokratischen Instanzen wünscht, wenn es darauf ankommt. Selbiges gilt für Winslets Figur, die von Ausbruchsort zu Ausbruchsort reist, ohne dass sie oder der Film große Reden über ihr Engagement schwingen. Es ist ihr Job und sie macht ihn. Dr. Ally Hextall (Jennifer Ehle) wiederum erforscht das Virus mit wissenschaftlicher Leidenschaft im Labor. Hier zeigt sich Soderberghs dokumentarisches Auge am deutlichsten und schönsten, wenn er etwa selbstvergessen beobachtet, wie die Laboranzüge aufgeblasen und sonstige Schutzmaßnahmen vorbereitet werden.

Verteilt über den ganzen Globus und mit einem ungewöhnlich großen, weil gleichberechtigtem Ensemble verfolgt Contagion den Ausbruch und die Eskalation einer fiktiven Pandämie, ohne sich dabei auch nur einen Moment zu verzetteln. Zwar entpuppt sich nicht jeder Handlungsstrang als vollends gelungen. Jener von Marion Cotillards WHO-Vertreterin gerät in der zweiten Hälfte so überflüssig, dass der Film selbst ihn vergisst. Dennoch ist Contagion ein ungemein stark kontrollierter Film über den Kontrollverlust und eine der rationalsten Auseinandersetzungen mit der Hysterie, die man überhaupt im Kino zu Gesicht bekommen kann. Zudem werden geschickt die kleinen Tragödien in der Großen verwoben, so dass das menschliche Element innerhalb der gesellschaftlichen Krise nicht zu kurz kommt. Am Ende – so die These – ist es schließlich das kleine, das alltägliche Ritual, das unsere Welt im Innersten zusammenhält.


Zum Weiterlesen:
Übersicht der Kritiken für Contagion bei Film-Zeit.de.

Bis zum Ende der Abrechnung – Anonymus (GB/D 2011)

Die Frage des neuen Roland Emmerich Films Anonymus ragt schon von den Filmplakat herab: „War Shakespeare ein Betrüger?“ Der Film beginnt auf der Bühne eines kontemporären New Yorker Theaters, auf der ein Schauspieler eben diese Frage in den Raum stellt. Er wird dabei selten aus der Sicht des Zuschauerraums gezeigt. Die Bilder bleiben zumeist hinter den Kulissen. Die Entmystifizierung einer Legende wird von großer Hand vorbereitet. Doch der erwähnte Schauspieler gibt es bereits preis, als die Aufführung beginnt. Es ist nur eine (mögliche) Geschichte, die wir zu sehen bekommen. Wer hat beim guten Roland Emmerich auch historisch genaue Untersuchungen erwartet? Er und sein Drehbuchautor John Orloff ordnen alle Figuren der Dramaturgie unter, weshalb der Zuschauer nach Anonymus auch nur unwesentlich besser über das Thema informiert ist, aber dafür einen äußerst spannenden Film gesehen hat.

Der „wahre“ Shakespeare, den Anonymus präsentiert, ist Edward de Vere (Rhys Ifans), der Earl von Oxford. Für ihn als englischen Edelmann, noch dazu in einer puritanischen Zeit, ziemt es sich nicht, Stücke und Poesie zu schreiben. Doch beim nahenden Tod Elizabeth I. brechen Streitigkeiten um die Erbfolge aus und er sieht sich verpflichtet einzugreifen. Er engagiert ein Stand-In, der unter dem eigenen Namen die Stücke de Veres veröffentlicht und aufführt. Das Theater wird nun selbst zur Bühne, in der die Massen manipuliert und mitgerissen werden. Denn das eigentliche Sujet ist die Macht des Wortes.

Hierbei leistet Emmerich aber einen zweifachen Offenbarungseid, wenn er Shakespeares Stücke im elisabethanischen England auf die Bühne bringt. Sobald die St. Crispin’s Day-Rede aus “Heinrich V.” inszeniert wird, muss niemand wissen, worum es geht, trotzdem ist es schwer sich der Macht der Szene zu entziehen. Es ist vielleicht die beste Shakespeare-Szene seit Marlon Brando Brutus einen ehrenwerten Mann nannte. Nur zu verständlich erscheint, dass die Zuschauer rasen. Pathos at its best. Das Problem ist aber einerseits, dass Emmerich nur Gut und Böse darstellen kann. Shakespeare schlecht zu finden ist zudem scheinbar eine Unmöglichkeit. Die Sicht von Anonymus auf die Welt ist erschreckend eindimensional, da jeder Zweifel im Keim erstickt wird. Andererseits traut er den Worten doch nicht so sehr. Erst die Special Effects scheinen “Shakespeares” Worten ihre Macht zu verleihen. Erst wenn ein Schauspieler Kunstblut in die erste Reihe spuckt, Regen fällt oder Feuerwerk die Schlachten begleitet, rast der Pöbel vollends und erst dann ist auch de Vere zufrieden. Roland Emmerich kommt eben doch nicht aus seiner Haut.

Als schließlich der aufschneiderische Geck Shakespeare sich als Autor ausgibt, ist das schon eine Nebensache geworden, denn die Intrigen am Hof weiten sich zusehends aus. Nach der ruhigen Einführung der Personen entwickelt sich schnell ein mitreißender Strudel der Geschehnisse. Diese werden über zwei Zeitebenen erzählt, de Veres Heranwachsen und der nahende Tod der Königin, die Emmerich gekonnt verdichtet und die zusehends klar machen, dass die Intrigen schon vor langer Zeit begonnen haben. Eine riesige Verschwörungstheorie baut sich auf. In dem abgeschlossenen Universum von Anonymus hat jeder einen gerissenen Plan und beide Seiten spielen miteinander. Zufall gibt es fast nicht, da hinter jedem Zug einen wissende Hand steckt. Doch die lauernde Lächerlichkeit wird nicht einmal geschrammt. Die Spannung spitzt sich ganz unaffektiert zu. Am Ende steht die Coda als nötige Atempause, Platz der Verarbeitung, der auch leicht verziehen werden kann, dass sie einem Nachspiel gleicht, bei dem der Partner schon eingeschlafen ist.

Zuletzt verlassen die New Yorker Zuschauer auch das Theater ohne in große Euphorie auszubrechen. Roland Emmerich und John Orloff waren realistisch genug (falls sie sich nicht in der Rolle der Verkünder einer ernüchternden Wahrheit gefallen). Sie lassen sich nicht dieselben Beifallsstürme zukommen, wie sie Shakespeare mehrmals entfachte. Ihnen ist klar, dass sie vielleicht einen guten Film geschaffen haben, aber keinen über den in 300 Jahren noch geredet wird.


Zum Weiterlesen:
Die gesammelten Kritiken für Anonymus bei Film-Zeit.de.

Don’t Torture a Duckling (I 1972)

Don't Torture A Duckling Poster

Eigentlich geben die ersten Minuten schon alles vor. Die Panorama-Aufnahme der Autobahnbrücke, die sich durch das italienische Hinterland schlängelt. Die Hände, welche im Dreck wühlen und das Skelett eines Kindes zu Tage fördern. Der Junge, der ein Tier quält und schließlich das düster erhabene Innere einer Kirche. Trotzdem rätselt man weiter in Lucio Fulcis Don’t Torture a Duckling. Die Verdächtigen werden, wie es sich für einen Giallo gehört, zur Begutachtung des Zuschauers vorgeführt, falsche Fährten gelegt, so dass man bei der großen Auflösung überrascht ist und doch irgendwie nicht, denn man hatte es seit den ersten Minuten des Films vor Augen. Als Giallo wird Fulcis Werk geführt, dabei spielt er im Gegensatz zu vielen Genrevertretern auf dem Land. Es kommen weder blitzende Messer zum Einsatz, noch ist ein mit Lederhandschuhen verzierter Frauenmörder am Werk. Stattdessen werden die Leichen mehrerer Jungen im Dorf Accendura aufgefunden und plötzlich bringt die Außenwelt Interesse an der zurückgebliebenen Gegend auf. Presse und Polizei fallen über das Kaff her und am Ende werden es nicht zufällig zwei Außenseiter sein, die den Übeltäter konfrontieren. Doch die Welle wird zum nächsten Sensationsfall weiterziehen, während in Accendura alles so bleibt, wie es seit Jahrhunderten ist. Zur näheren Verwandtschaft des Films gehören nämlich nicht so sehr die großstädtischen Gialli. Vielmehr bildet der italienische Krimi das Mittelstück eines unwahrscheinlichen Triple Features, reiht er sich reibungslos ein zwischen Sam Peckinpahs Straw Dogs (1971) und Robin Hardys The Wicker Man (1973).

Was Don’t Torture a Duckling ganz wesentlich antreibt, ist das Unbehagen der Moderne gegenüber ihren immer wieder aufblitzenden archaischen Wurzeln. So bietet die Mordserie den Aufhänger, um die rationalen (männlichen) Berichterstatter und Polizisten aus der Umgebung mit dem Kulturschock der Pampa zu konfrontieren; mit ihren unkontrollierbaren Mobs, die jeden Verdächtigen geifernd anfallen und dem ländlichen Aberglaube, der, wie ein Polizist am Rande bemerkt, in dieser Region mit dem Katholizismus Hand in Hand gehe. Wie schon in A Lizard in a Woman’s Skin (1971) spielt die sexuelle Revolution eine wichtige Rolle, nur gelingt es Fulci diesmal, den beißenden Kommentar des Konservatismus italienischer Prägung tatsächlich bis zum Ende durchzudenken und entsprechend umzusetzen. So gibt Barbara Bouchet als Marihuana rauchende Exilantin aus der Großstadt die kühle Verführerin der örtlichen Jugend, die nicht nur durch ihre äußerst moderne Villa Unruhe in die scheinbare Idylle des Dorfes bringt.

Überhaupt sind es die Frauen, welche “Don’t Torture a Duckling” dominieren und mit ihrer unbändigen Energie von Fulci in einigen tollen Groß- und Profilaufnahmen eingefangen werden, aufgerissene Augen und spröde Lippen inklusive. Gegenüber dem emotionalen Wirbelsturm einer Florinda Bolkan als Dorfhexe wirken die eingereisten Männer (u.a. Thomas Milian als Reporter) langweilig, passiv und blass, während die einheimischen Herren sich höchstens in der Gewalt abreagieren können. Auf den Punkt bringt Fulci dies in der herausragenden Friedhofssequenz, in welcher – untermalt von Popsongs aus einem Autoradio – Bolkans Aussätzige von den Vätern der Ermordeten attackiert wird. Dabei scheint es fast so, als wären die toten Jungs selbst aus ihren Gräbern auferstanden, um blinde Rache zu nehmen. Grausamkeit wird als Erbstück gepflegt in Accendura.

Don’t Torture a Duckling schickt seine Protagonisten wie “Straw Dogs” und “The Wicker Man” in die Provinz, um sie in den Morast einer urtümlichen Zivilisation hinabsteigen zu lassen. Dabei ist für Fulci, anders als bei Peckinpah und Hardy, jedoch nicht die Frage von Belang, ob die Helden von ihrer Umgebung infiziert werden. Sie bleiben nicht mehr als Durchgangsverkehr, der in dieser Welt nie Fuß fassen wird und kann. Zugleich lässt sich der Film mit seinen Männern, die den aus ihrer Kontrolle geratenen Frauen perplex gegenüberstehen, ebenso gut als Überzeichnung einer Moderne lesen, deren Unbehagen sich vor allem gegen sich selbst richtet. So oder so ist Lucio Fulci ein visuell passend überhitztes, wenn auch nicht fehlerfreies Dokument der italienischen 70er gelungen, das man in seinem Ernst von diesem Regisseur nicht erwartet hätte.

Punished (HK 2011)

Punished Film-Poster

Punished Film-Poster

In Johnnie Tos Vengeance gibt es diesen Moment, in dem Francis Costello (Johnny Hallyday) seine Tochter nicht mehr erkennt und die drei von ihm engagierten Killer dem alternden Ex-Kollegen erklären müssen, warum, wieso, weshalb er sich auf einem Rachefeldzug befindet. Wird im dritten Teil der Hitman-Trilogie der Wunsch nach Vergeltung weitervererbt, nachdem sein Ursprung verschwunden ist, nähert sich Law Wing-Cheongs Punished der Rache als Mittel der Selbstkasteiung. Zusammen mit Cheang Pou-Sois Accident bilden “Punished” und “Vengeance” ein faszinierendes Tryptichon aus dem Hause Milkyway Image, welches die Facetten des Themas mit unterschiedlichen Resultaten auslotet. Punished geht im direkten Vergleich als konventioneller, nichtsdestotrotz ungewöhnlichster Beitrag der Produktionsfirma von Johnnie To und Wai Ka-Fai hervor. Denn der Film kommt ohne den üblichen Milkyway-Style aus, besticht nicht durch Set Pieces, sondern gibt sich als nüchterne Charakterstudie.

Im Mittelpunkt des Geschehens steht der rücksichtslose Geschäftsmann Wong Ho-Chiu (Anthony Wong), der mit Immobilien sein Geld verdient und vor illegalen Methoden nicht zurückschreckt. Wong ist ein Kontrollfreak und damit ein echter Milkyway-Held, dem im Verlauf des Films die Zügel aus der Hand genommen werden. Seine Tochter Daisy (Janice Man) wird entführt und gleich zu Beginn erfahren wir – und das ist kein Spoiler – dass die junge Frau die Entführung nicht überlebt. So wird die geradlinige Erzählung bereits in den ersten Minuten zugunsten unvermittelter Zeitsprünge aufgegeben, die dem Film die Dynamik anderer Rachethriller verwehren. Aber Punished ist sowieso kein gewöhnlicher Rachethriller und nur bedingt ein “Thriller”. Wir wissen um das Schicksal Daisys, bevor wir ihre nicht sonderlich einnehmende Persönlichkeit kennenlernen. Sie ist die Ausgeburt der Teenager-Rebellion in ihrer nervigsten Form, schmeißt das Geld ihres Vaters für Koks und Klamotten raus, beleidigt ihre verständnisvolle Stiefmutter aus einem einzigen Grund (sie ist die Stiefmutter), benimmt sich alles in allem unerträglich. Unwesentlich vorteilhafter kommt ihr Vater weg, der seine Geschäftsmethoden auf das Familienleben ohne Hintergedanken überträgt, seinem Sohn vorschreibt, was er zu studieren hat und seine Frau als persönliche Assistentin (aus)nutzt. Man könnte auch sagen, die Figuren in “Punished” hätten ihr Schicksal verdient, dass die titelgebende Bestrafung, welche der Film austeilt, rechtens ist. Punished versinkt allerdings weder in der absoluten Hoffnungslosigkeit, noch in zynischen Attitüden. Das Drama – ja, es ist wohl am ehesten ein Drama – verdankt dies in erster Linie den Schauspielern und mit Abstrichen der erzählerischen Herangehensweise.

Anthony Wong ist spätestens seit Beast Cops ganz groß darin, Männer zu verkörpern, die an ihrer übertriebenen Maskulinität zu scheitern drohen. Manchmal reden sie viel, manchmal wenig, aber nur selten können sie das ausdrücken, was in ihnen vorgeht. Sie sprechen mit Taten und das hat meistens fatale Konsequenzen. Deswegen muss sich sein biestiger Cop zwangsläufig auf einen drogengeschwängerten Feldzug der Gewalt begeben, deswegen gedenkt sein Immobilienmagnat infolge des Todes seiner Tochter und seines Versagens als Vater sich einzig in Form der Rache Erleichterung verschaffen. Doch hier verlässt Punished die ausgetretenen Pfade des Genres. Anstatt wie Pierre Morels “Taken” den Erzeuger selbst zum Täter werden zu lassen, wählt Wong Ho-Chiu einen Weg, den ein Mann in seiner Position wohl wählen würde: Er beauftragt einen Angestellten. Während Chor (Richie Ren), ein ebenfalls von seinem Kind Entfremdeter, seinem Job methodisch kühl nachgeht, beobachtet der Boss auf seinem Smartphone die Folter und/oder Tötung der Beteiligten. Denn Rache erweist sich in “Punished” als abstrakte Idee, die nicht mit Emotionen angereichert werden kann. In ihrer Umsetzung gerät sie ebenso sinnlos wie der Tod Daisys. So verbleiben die gescheiterten Väter Wong und Chor mit dem Handy als unzureichendem Ventil für ihre Schuld, während der Film zum unsentimentalen Schluss kommt, dass manche Fehler schlicht nicht begradigt werden können. Obwohl sich “Punished” durch seine analytische Erzählweise und die für Genre-Fans wohl zu leidenschaftslose Aufbereitung der Rache und ihrer Folgen einiges an Immersionspotenzial verbaut, ist gerade dieser Ansatz erfrischend. Dabei greift der Film klassische Milkyway-Motive auf, um ihnen eine ungewohnte Wendung zu verleihen. Erscheinen die Professionals in vielen Werken der Produktionsschmiede als Gestrandete aus einer anderen Epoche, haben sich die Rächer in Punished allzu gut in der Moderne eingelebt und müssen nun mit den Folgen zurechtkommen. So ist der Film auch mit seinen Makeln eine Rachestudie für das neue Jahrtausend.


“Punished” ist bisher nur in Hongkong auf DVD (RC: 3) und Blu-ray (RC: A) erschienen und kann bei YesAsia erstanden werden.