Breaking News (HK/VRC 2004)

Die Hongkonger Polizei steckt in einer Publicity-Krise. Soeben ist die Überwachung einer Bande von Gangstern zu einer blutigen Schießerei in den Straßenschluchten der ehemaligen Kronkolonie ausgeartet. Die Medien haben das Desaster naturgemäß eingefangen, das Versagen angeprangert. Die Gangster sind nämlich auch noch entkommen. Kommissar Wong (Simon Yam) beauftragt die in Publicity-Fragen versierte Rebecca Fong (Kelly Chen) mit der Schadensbegrenzung. Um die Berichterstattung der Medien nach ihren Gunsten zu lenken, versorgt sie das Fernsehen gleich selbst mit dem Sendematerial: Polizeieinheiten werden kleine Kameras verpasst, die Aufzeichnungen musikalisch untermalt und effektheischend wie in einem Task Force-Werbefilm zusammengeschnitten. Währenddessen spürt Cop Cheung (Nick Cheung) die Flüchtigen (u.a. Richie Ren) in einem Wohnblock auf und eine kräftezehrende Belagerung beginnt.

Als Mediensatire wird Johnnie Tos Breaking News ebenso gern gelobt wie kritisiert. Eine offene Einladung dazu bieten in gewisser Weise der Plot und erst recht die TV-Schnipsel, welche To à la Zapping International komplett mit Rauschen immer mal wieder einfügt, um die Medienberichterstattung sozusagen als parallele Realität in den Film zu integrieren. Dass “Breaking News” die gegenseitige Instrumentalisierung von Medien, Polizei und Gangstern hin und wieder mit einem ironischen Unterton kommentiert, erhebt den Film allerdings noch lange nicht in den Status einer Mediensatire. Es ist, betrachtet man den 90-Minüter, auch zweifelhaft, ob es To und seinem Milkyway-Team überhaupt darum geht. Etwas schmunzelt man schon, wenn die auf Imagepflege bedachte Polizei bei der Belagerung eine Mittagspause einführt, ganz uneigennützig die wartenden Journalisten mit verköstigt und die Gangster der Öffentlichkeit anschließend ihr eigenes gemütliches Essen mit einem als Geisel gehaltenen Vater und seinen beiden Kindern präsentieren. Doch irgendwie führt das alles zu nichts. Zumindest wenn man am Ende so etwas wie eine Pointe der Satire erwartet. Wenn To Gesellschaftsstrukturen kritisch anpackt wie beispielsweise im “Election”-Doppelschlag, sieht das Endergebnis anders aus.

Zunächst einmal befriedigt Breaking News – keine große Überraschung bei dem Regisseur – aber als kurzweiliger Actionthriller. Zwar fehlt es dem Film ganz und gar an der melodramatischen Überdrehtheit eines “Fulltime Killer”, dem düsteren Nihilismus von “The Longest Nite” oder auch dem Zeitlupen-Heroic Bloodshed aus “Exiled”. Doch wie üblich enttäuschen Tos Inszenierungskünste nicht. Vielmehr kann man es fast schon als etwas prahlerisch bezeichnen, wenn der Regisseur seinen Film mit einer sieben Minuten langen Plansequenz eröffnet. Es wird zwar nicht die letzte des Films sein, doch sicher ist der Auftakt ungemein spektakulär. Orson Welles und Robert Altman hat man es aber auch verziehen.

Gemächlich wandert der ungeschnittene Blick von der Skyline der Stadt auf eine gewöhnliche Straße, um nach der Etablierung des Schauplatzes sofort in die Wohnung der Gangster zu schwenken, die sich zum Aufbruch bereit machen. Hinab geht es dann wieder zu den observierenden Polizisten im Auto. Schwenk für Schwenk, Fahrt für Fahrt baut To langsam die Spannung bis zur Schießerei auf, die immerhin vier Minuten auf sich warten lässt. Die Gangster verlassen das Gebäude, misstrauische Blicke werden ausgetauscht, arglose Streifenpolizisten mischen sich ein. Fast scheinen die Uniformierten beruhigt, ihr Leben gerettet, doch ein einziger Fingerzeig genügt und der Sturm bricht los. Von einer Front zur nächsten schnellt die Kamera, während der Schusswechsel seinen Lauf nimmt, ohne dabei die Hektik der frühen Filme des Regisseurs oder anderer HK-Größen anzustreben. Die Ästhetik ist bis ins Detail kontrolliert, also zu keiner Zeit diffus, denn “Breaking News” zeigt Johnnie To im Mantel des Marionettenspielers. Eine Vorgehensweise ist das, welche die Distanzierung des Zuschauers nicht notwendigerweise mit einschließen muss.

Betrachtet man etwa The Mission (1999), einen Actionfilm, der einem architektonischen Grundriss voller diffizil aneinander gefügter geometrischer Formen gleicht, brilliert der formal überragende Regisseur da ebenso durch eine vergleichsweise subtile Figurenzeichnung. Eine solche geht “Breaking News” allerdings ab. SchauspielerInnen wie Kelly Chen, Nick Cheung oder Richie Ren gehören in variierenden Graden leider zum Typ “kühle Fassade”. Es wäre also gewagt, zu behaupten, der Film ringe dem Zuschauer irgendeine Form emotionaler Involvierung ab. Andererseits handelt es sich hier wohl um Tos abstrakteste Auseinandersetzung mit seinem Lieblingsthema: Das Schicksal. Denn das in den ersten sieben Minuten geschilderte Geschehen setzt wie der Finger eines erbarmungslosen Dominospielers eine geradezu unabänderliche Ursache-Wirkungskette in Gang, perfekt visualisiert durch das verbindende Element des Kameraauges.

Gerade Tos Gangsterfiguren sind unfähig, dauerhaft von ihrem Weg abzukommen und einen anderen zu wählen. Es ist dieser Pfad – im Grunde vergleichbar mit der in Infernal Affairs zitierten Avici-Hölle – den Figuren wie Blaze, Lok, Jimmy und Co. mehr oder weniger freiwillig bis zum Ende gehen. In der Trilogie von Alan Mak und Andrew Lau liegt das angehäufte Karma dem Schicksal der Figuren zu Grunde. Das führt die Story soweit, dass quasi jede böse Tat mit dem Tode oder der Hölle auf Erden bestraft wird; ein Schema, welches besonders mit Kenntnis des zweiten Teils ersichtlich wird. In Running on Karma (2003) ging To einen Schritt weiter als seine Kollegen und behandelte Karma als eine sich über Generationen hinweg auswirkende Kraft.

Vielfach bilden die Tätigkeiten des organisierten Verbrechens jedoch den Rahmen seiner Explorationen. Variierend zwischen den klassischen HK-Gangstern, welche wie mittelalterliche Schwertkämpfer ihrem Kodex ohne Rücksicht auf die eigene Person folgen, und berechnenden, machtgierigen Bossen, sind seine Figuren in den Mechanismen der Schwarzen Gesellschaft gefangen. Die so gut wie vollkommene Abwesenheit handelsüblicher Motive der Gangster in Breaking News bestätigt Tos in diesem Fall geradezu radikal abstrakte Herangehensweise an das Thema. Austauschbare Hauptdarsteller schultern hier Rollen, die nicht viel mehr als die Bezeichnung “Gangster” oder “Polizist” verdienen. Durch die Strukturen ihrer jeweiligen Institution (Triaden/Unterwelt und Polizei) vorbestimmt, müssen Gangster Raubüberfälle und Auftragsmorde begehen und die Polizisten sie eben bis zum bitteren Ende jagen. Ein Abweichen ist durch die Regeln des Spiels ausgeschlossen, was der Film noch einmal unterstreicht, wenn Cop Cheung während einer Schießerei auf die Frage “Und warum wirst du nicht Killer?” zurückfragt “Je daran gedacht, Polizist zu werden?” und sich anschließend beide Seiten darüber herzlich amüsieren.

To ist ein Regisseur, dem man kaum Abgehobenheit vorwerfen kann. Jedem noch so ausgefallenen Stoff, jeder noch so auffälligen Auseinandersetzung mit der Gesellschaft Hongkongs oder buddhistischen Glaubenskonzepten versetzt er einen Schuss Zugänglichkeit. “Breaking News” mag zwar bei näherem Hinsehen wie ein reichlich trockenes, formales Experiment eines allzu selbstsicheren Regisseurs wirken, dessen “Medienkritik” nicht über die To-üblichen Tricks hinauskommt. Doch glücklicherweise ist das Ergebnis dessen zumindest eine attraktive Ansammlung von Schauwerten. Ein Actionfilm eben. Leider einer der schwächeren des Meisters.


Eine Überdosis Plansequenzen für’s Wochenende:
Breaking News (Opening Shot)
The Player (Opening Shot)
Im Zeichen des Bösen (Opening Shot)
Hard-Boiled (Body Count from Hell)

Teaser: Vengeance

Vengeance heißt der neue Film von Johnnie To (a.k.a. The God of Modern Hong Kong Cinema™), der wahrscheinlich auf dem diesjährigen Filmfestival in Cannes Premiere feiern wird. To’s bisher “internationalster” Film ist eine Koproduktion französischer und Hongkonger Firmen und daher mit einem interessanten Ensemble versehen: Rockstar Johnny Hallyday (“Das Zweite Leben des Monsieur Manesquier”) spielt an der Seite von Silvie Testud (“La vie en rose”) und den To- Veteranen Anthony Wong (Yay!), Simon Yam und Lam Ka-Tung, die zuletzt für “Exiled” gemeinsam vor der Kamera standen.

Wie der Titel schon andeutet, geht’s um einen ehemaligen Killer, der nun als Koch arbeitet und nach Hongkong kommt, um Rache an den Mördern seiner Familie zu nehmen. Unterstützt wird er dabei von drei örtlichen Killern.

Der kurze französische Teaser bietet schon mal alles, was man aus Filmen wie “Election”, “Exiled” und “Sparrow” kennt: Regenschirme,  Killer in Anzügen, Schießereien, ein Schiff und Gitarrenmucke.

Im Mai startet “Vengeance” in Frankreich. Den Teaser kann man sich unten ansehen oder in besserer Qualität hier.

(via)

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Schlaflos in Wiesbaden

ExgroundMit dem Lupo gings aus dem beschaulichen Jena ins hessische Wiesbaden, um wenigstens das letzte Festivalwochenende des 21. Exground Filmfests abzupassen. Das hieß sechs Stunden Arbeit, danach rund drei Stunden (geplante) Fahrzeit in die hessische Landeshauptstadt, um den Rest des Tages voll auszunutzen.

Der befürchtete Winterausbruch blieb der Running Joke, verschneite Straßen die Ausnahme. Da fuhren wir nun mit dem Winterchaos im Hinterkopf, freuten uns über die Ruhe auf der Autobahn, sahen aus der Ferne schon die Skyline Frankfurts.

Und das Auto blieb stehen. Geschlagene zwei Stunden hielten Kekse und eine Summer of Love-Kassette uns Cineasten über Wasser, wenn nicht gerade ein abgestandener “Deine Mutter”-Witz die Zeit versüßte. Das Ziel: Endlich Einchecken im Hotel, 22:15 Uhr Sparrow von Jonnie To im Caligari anschauen.

Nach zwei Stunden Stehparty schienen alle Hoffnungen auf rechtzeitige Ankunft und den Kinobesuch zerstört, als das Auto doch noch zu rollen begann, der Horizont nicht mehr durch den ewig gleichen knallgelben Reisebus beschnitten wurde.

Weiter ging es im Eiltempo, bis sich Wiesbaden schließlich als Einbahnstraßenhölle offenbarte und der Lupo samt Insassen einigermaßen verwirrt durch die Innenstadt kurvte, jede nur denkbare Verkehrsregel aus purer Verzweiflung missachtend. Einzig die Liebe zum Kino war Schuld. Und womöglich auch der Wunsch nach einer warmen Unterkunft, um den tauben Beinen etwas Bewegung zu verschaffen.

Dann war es plötzlich da, das Hotel, ohne Navi, ohne ordentlichen Stadtplan, ungeachtet aller Steine, welche die Straßenverkehrsordnung uns in den Weg gelegt hatte. Nach fünf Stunden Unbeweglichkeit und unzähligen mitgesungenen, quälenden Popsongs standen wir vor der Caligari Filmbühne. Anstatt uns – wieder jeder normale Mensch – erst einmal etwas zu essen zu holen, reichte ein Bierchen, um die nächsten vier Stunden im Kino zu überstehen.

Einen Johnnie To-Film im Kinos zu sehen, selbst wenn es nicht sein bester ist, lässt alle Beschwerden verschwinden. KinoSparrow, diese federleichte Gaunerkomödie, die in einer Welt ohne Sorgen zu existieren scheint, genossen wir in einem angenehm weichen Kinosessel mit ungeahnter Beinfreiheit, so dass sich am Ende die Mühe gelohnt hatte und die absolute Zufriedenheit Einzug hielt.

Wie das Kinoerlebnis einmal war vor dem Aufkommen der Uniformität der Multiplexe, dieses Flair vermittelt das Caligari. Es war der perfekte Ort für das Exground Filmfest, dass vom 14.11. bis zum 23.11 seinen 21. Geburtstag feierte. Neben dem Schwerpunktthema Spanien bot die ehrenamtlich agierende Festivalorganisation u.a. die Reihe “News from Asia”, eine Auswahl an Dokumentationen und die “Youth Days”.

Auch dem Kurzfilm wurde reichlich Platz eingeräumt, schließlich sollte am Sonntag die Preisverleihung des Deutschen Kurzfilmwettbewerbes stattfinden. Einen  Überblick über das aktuelle europäische Geschehen bot der im Anschluss von Sparrow gezeigte Programmblock Short Matters. Dreizehn Filme, alle 2007 für den europäischen Kurzfilmpreis nominiert, wurden hier präsentiert. Das hieß, skurrile Momente der Sprachverwirrung in Tokyo Jim wechselten sich mit einigermaßen prätentiösem Getue in Dad ab.

Die Highlights: Simon Ellis’ Soft, 14 eindringliche Minuten über die außer Rand und Band geratende Jugend Großbritanniens und einen Vater, der seinem gepiesackten Sohn die eigene Schwäche eingestehen muss; Tommy von Ole Giaver, in dem sich eine zufällige Wanderbegegnung zum unangenehmen Psychospiel wandelt und Plot Point. Nicolas Provosts Experimentalfilm ist zunächst etwas langatmig, bis man hinter das Konzept steigt. Dokumentaraufnahmen von New Yorks Nachtleben werden durch einige clever gesetzte Soundeffekte und spannende Musik ergänzt. Aus den alltäglichen Bildern ensteht plötzlich die bedrohliche Atmosphäre eines Thrillers und wider besseren Wissens erwartet man eine Katastrophe.

Eduardo Chapero-Jacksons Alumbramiento versammelte schließlich die Qualität eines ganzen Spielfilms in nur 15 Minuten. Der Gewinner des europäischen Filmpreises für den besten Kurzfilme erzählte mit Hilfe überragender Schauspieler vom Sterben und den Belastungen, welche die Angehörigen auf sich nehmen.

Nach einer kurzen Nacht auf dem harten Boden des Hotelzimmers – der Nachteil, wenn man nur für eine Person bucht – und dem Irrweg durch die Innenstadt auf der Suche nach einer Sparkasse – der Nachteil, wenn man aus den Neuen Bundesländern kommt – hieß es am Samstag, den schwedischen Film The King of Ping Pong anzuschauen.

Jens Jonssons Genremix aus Jugendrama, Thriller und schrulliger Komödie wusste in jeder Hinsicht zu überraschen. Auch wenn der titelgebende Sport im Film etwas zu kurz kommt, konnten v.a. die Jungschauspieler sich gegen die überstilisierte, unterkühlte Kulisse behaupten und dem Film lebensechte Gefühle einhauchen.

Abends wurde die Innenstadt Wiesbadens zum Kinosaal umfunktioniert. Das Hamburger Projekt A Wall Is A Screen lud zur Wanderung von einem an die Häuserwände projizierten Kurzfilm zum nächsten durch die Stadt ein. Abgesehen von der Eiseskälte ein einzigartiges Erlebnis, bei dem der öffentliche Raum z.T. in direkter Beziehung zum gezeigten Film stand. So wurde Cows With Guns nicht zufällig neben einem McDonalds-Restaurant gezeigt, zum Vergnügen aller Zuschauer.

Die Rückkehr in den warmen Kinosaal verhieß kurz vor Elf eine Doku über die Pornoindustrie in den USA. Kein Wunder also, dass der Saal zur Vorstellung von 9 to 5: Days in Porn gut gefüllt war. Im Nachhinein kam der Film von Jens Hoffmann nicht über einen sporadischen Überblick mit einigen komischen Episoden hinaus. Zu viele Akteure – neun Darsteller, Regisseure und Produzenten – ließen den kritischen Tiefgang und damit neue Erkenntnisse vermissen.

Tiefschürfende Erkenntnisse oder auch nur eine sinnvolle Story ließ der letzte Film des Abends ganz vermissen, aber das war bei dem herrlichen japanischen Trashfilm The Machine Girl auch nicht anders zu erwarten gewesen.

FutterNachdem ihr Bruder von einer Yakuza-Gang ermordet wurde, schwört die Schülerin Ami Rache. Zum Machine Girl wird sie, als sie an Stelle ihres Armes ein Maschinengewehr erhält.

Splatterorgien sind da natürlich vorprogrammiert. Regisseur Noboru Iguchi scheint sich irgendwann mal Kill Bill angesehen zu haben, um sich dann hinter her zu sagen, dass er da noch eins drauf setzen kann.

Peinlich gekleidete Killerbanden, die ein wenig den Power Rangers ähneln, stellen sich naturgemäß Ami in den Weg, um von ihr auf blutigste und witzigste Weise ins Jenseits geschickt zu werden. The Machine Girl ist ein origineller Trashfilm, wie man sich ihn nur wünschen kann. Als Abschluss der zwei Festivaltage entließ der den Fan des Genres mit einem Lächeln in die kalte Winternacht.

Die Filmauswahl des Festivals erwies sich im Nachhinein als voller Erfolg für die Zuschauer. Qualitative Dichte und thematische Abwechslung lassen das Exground Filmfest zur absoluten Empfehlung für jeden Cineasten werden, der abseits des amerikanischen Mainstreams sein Lichtspielglück sucht. Dem können ein quälender Stau  und der akute Schlafmangel schlicht nichts anhaben.


Zum Weiterlesen:

 

Ein Erfahrungsbericht zum Festival von Luzifus.

Sparrow (HK 2008)

Einer wie Johnnie To hat niemanden mehr etwas zu beweisen. Während die Filmindustrie seiner Heimat Hongkong vor über zehn Jahren in die Krise schlitterte, muss To eines Morgens aufgewacht sein und sich beim Genuss einer Zigarre gesagt haben: “Ab heute bin ich ein Auteur. Ab heute gründe ich meine eigene Produktionsfirma und werde zum einsamen Aushängeschild des Hongkong-Films auf den Festivals dieser Welt.” Sofern es tatsächlich einen solchen Moment im Leben des Regisseurs gegeben hat, kann man ihn nur  dazu beglückwünschen. Aus dem Handwerker, der stets im Schatten von Tsui Hark, John Woo und Konsorten stand, ist neben Wong Kar-Wai tatsächlich der bedeutendste Regisseur der Sonderverwaltungszone geworden.

Sein Stil ist mittlerweile unverwechselbar. Grund dafür ist auch ein festes kreatives Team hinter den Kulissen, sowie eine Gruppe von Stammschauspielern, unter ihnen Lam Suet, Simon Yam oder Gordon Lam, deren Anwesenheit den Wiedererkennungswert seiner Filme in die Höhe treibt. Mit der von ihm und Wai Ka-Fai gegründeten Firma Milkyway Image produziert er im Gegensatz zu Wong Kar-Wai nicht von vornherein für die Arthouse-Kinos. Tos Filmografie variiert daher gekonnt zwischen kommerziellen Filmen und kleinen Herzensprojekten. Da kann es schon mal vorkommen, dass er an einem Film drei Jahre arbeitet und während dessen noch bei vier oder fünf anderen Filmen von hoher Qualität auf dem Regiestuhl sitzt. Geschehen ist das bei seinem neuesten, dem federleichten Sparrow. Der lief im Wettbewerb der Berlinale 2008 und erweist sich gerade als äußerst erfolgreich in den Kinos von Hongkong.

Vielleicht hat der Erfolg etwas mit der nostalgischen Note des Films zu tun. Simon Yam, der ausnahmsweise keinen Bösen spielt, sondern den Boss einer Diebesbande, verbringt hier seine Freizeit als Chronist seiner Stadt. Auf seinen Fahrradtouren durch die Straßen Hongkongs schießt er Schwarzweiß-Fotos von ihren Bewohnern. Begleitet wird das ganze von einem minimal anachronistisch wirkenden 60er Jahre-Feeling, das man eher in den Filmen Jacques Demis vermuten würde als in denen Johnnie Tos. Ein höchst künstlicher Film wie Sparrow kann vielleicht nur überzeugend von jemandem gedreht werden, der in seiner Branche so gut wie alles erreicht hat. In diesem Sinne gleicht er Burn After Reading von den Coen-Brüdern, obwohl die beiden Filme ansonsten nichts gemein haben. Nach einem tieferen Sinn sollte man in der Geschichte um vier Taschendiebe, die nacheinander der geheimnisvollen Kelly Lin verfallen, nicht suchen. To verliert sich hier in seinen ebenso skurrilen wie cleveren Einfällen, so dass man am Ende durchaus hart über den Film urteilen könnte. All style, no content usw.

Damit liegt man wahrlich nicht falsch. So reizvoll wie To dreht aber kaum jemand inhaltslose Gaunergeschichten. Das beginnt bei der Leichtigkeit, mit der er die Diebe bei der Arbeit beobachtet und endet bei seinem Hang dazu, Luftballons und Zigaretten als die erotischsten Gegenstände der Welt zu inszenieren. Wenn sich die Diebe mit ihrem Lustobjekt und einem viel zu großen Aquarium in einem engen Aufzug quetschen, spielt die Frage nach dem Sinn des ganzen keine Rolle mehr. Dass dabei eine Marginalie wie die Figurenzeichnung auf der Strecke bleibt, mag hinterher für einen faden Nachgeschmack sorgen. Der wird jedoch durch eine Vielzahl solcher einprägsamer Situationen wieder wettgemacht. To ist schließlich ein Meister darin, den Eindruck, den seine Filme beim Zuschauer hinterlassen, durch ein paar wunderschöne oder schockierende Momente zu manipulieren. Das ist manchmal erfolgreich (Throw Down). Manchmal, wie in PTU, genügt es nicht, um den ganzen Film in ein positiveres Licht zu rücken. Betrachtet man die rund 90 Minuten von Sparrow als das was sie sind – eine als Gaunerkomödie daherkommende Liebeserklärung an Hongkong – ist der Film ein passabler Spaß, der zu keiner Zeit an Tos Großtaten der letzten Jahre heran kommt.

[Ebenfalls veröffentlicht in der OFDb am 26. November 2008]


Zum Weiterlesen:
Da the gaffer in Wirlichkeit eine unverhohlene Fanpage von Johnnie To ist, gibt’s hier sogar eine Kategorie, die sich ausschließlich dem Mann mit der Zigarre widmet.

Election 2 (HK 2006)

[Wie es sich für die Kritik einer Fortsetzung gehört, verraten die folgenden Absätze das Ende von “Election 1”, enthalten also Spoiler.]

Herr Lok ist eigentlich kein auffälliger Typ. Beim Elternabend würde er wahrscheinlich nur still dasitzen und höflich nicken, wenn über die Verwendung der Klassenkasse diskutiert wird. Vielleicht wundern sich seine Nachbarn über die auffällig gekleideten, meist männlichen Besucher, die Herr Lok in seiner Wohnung empfängt. Sofern sie über seinen Beruf nicht aufgeklärt wurden. Herr Lok ist nämlich der Chef der Triade ‘Wo Shing’. Dieser Herr Lok wird wie auch schon in Election vom vielseitigen Simon Yam gespielt, einen anerkannten Fachmann für Psychopathen. Wenn die oben genannten Kriterien auf ihren Nachbarn zutreffen, sollten sie sich Sorgen machen. Oder Telefonnummern mit ihm austauschen. Nach zwei Jahren, in denen Lok nun die Führung der Triade inne hatte, steht wieder eine Wahl an. Erst scheint es keinen ernsthaften Gegner zu geben, doch dann strebt der junge Jimmy (Louis Koo), Patensohn Loks, plötzlich das Amt an. Eigentlich wäre der lieber ein erfolgreicher Manager, doch seine Verbindungen auf dem Festland (sprich: der Volksrepublik China) zwingen ihn zur Bewerbung: Entweder er wird der Boss und bringt die Triaden unter Kontrolle oder alle wirtschaftlichen Transaktionen sind gestorben.

Dominierte “Election” noch die augenscheinliche Faszination des Regisseurs Johnnie To für die jahrhundertealten Rituale der Triaden, greifen die eleganten 92 Minuten der Fortsetzung nach dem düsteren Potenzial, welches das brutale Ende des Vorgängers angedeutet hatte. Damit wird Election 2 nicht nur ein dichter Spannungsbogen zu Teil, sondern auch eine Story, die offen den Anspruch auf eine epische Erzählung stellt. Anders als die Macher der “Infernal Affairs”-Trilogie verwehrt Regisseur To dem Zuschauer allerdings jene Momente dramatischen Pathos’, in denen die Orchesterbegleitung anschwillt und den Helden am Rande ihrer emotionalen Kapazitäten eine einsame Träne über die Wange läuft. Tos unterkühlter Blick auf das Treiben der Triaden unterbindet eine dermaßen tiefe Identifikation. Wenig überraschend ist es da, dass die Exponenten der Schwarzen Gesellschaft kaum althergebrachte Charakterisierungsversuche erfahren. Lok, Jimmy oder der Auftragskiller Jet (Nick Cheung) lassen ihre Taten sprechen.

Vielleicht lässt sich nur so ein in Mark und Bein gehender Effekt erzielen, wie ihn To am Ende von “Election” auf den Zuschauer los lässt. Der oberflächlich gesehen unscheinbar ruhige Lok sitzt da mit seinem  einstigen Rivalen beim Angeln. Lok hat die Wahl gewonnen, hat längst das Spiel um die Macht für sich entschieden. Doch dann macht sein neuer Verbündeter einen tödlichen Fehler: Er schlägt die Teilung der Macht vor. Und prompt wird ihm vom verstimmten Lok der Schädel eingeschlagen. Die Brutalität dieser (Männer-)Welt kommt problemlos ohne Motive aus, die über Schlagwörter wie Macht, Geld oder Ansehen hinausgehen. Lok, einmal angetan von seinem Führungsposten, will ihn eben nicht mehr hergeben und damit hat sich’s. Für Tos Triadenfiguren in den “Election”-Filmen wäre ein genauer Hintergrund, eine persönliche Geschichte überflüssig. So alt wie die Institutionen sind, denen sie dienen, sind ihre Motive, ihre Handlungsmuster. Mit dem Eintritt werden sie zu einem Rädchen in der Maschine, das sich in dieselbe Richtung dreht, wie schon hunderte andere vor ihm.

Insofern ist Louis Koo als ehrgeiziger Jimmy eine Ausnahmefigur. Sein Geld hat er mit Raubkopien gemacht, seine Kinder sollen einmal Ärzte oder Anwälte werden. Das sind die Träume einer Mittelstandsexistenz, die der Versuch legaler Geschäfte in Festlandchina manifestieren soll. Das Triadenleben soll nur eine kurze Episode sein auf dem Weg zum gut situierten, bürgerlichen Dasein. Mit dem Verlust seiner Distanz zum gewalttätigen  Triadengeschehen, also in der direkten Konkurrenz mit Lok, sind zunehmend auch seine Entscheidungen den blutigen Schablonen des Gangsterlebens nachempfunden. Gewinn und Erhalt der Macht rechtfertigen jedes Mittel.

Von “The Mission” über “Running out of Time” bis hin zu “Election” und “Exiled” gewinnen Johnnie Tos Regiearbeiten häufig durch die Paarung der Hauptfiguren ihre eigentliche Schwungkraft. So stellt er in ersterem den aufbrausenden Francis Ng neben einen stoischen Anthony Wong. “Election” funktioniert durch die Gegenüberstellung des zurückhaltenden Simon Yam mit dem lauten Tony Leung Ka-Fai auf ähnliche Weise. Wenn man so will, verzichtet To in Election 2 auf die besondere Chemie der Gegensätze und setzt auf gleichwertige Gegner. Wie schon die beiden Antagonisten in dem von To produzierten The Longest Nite sind sich Lok und Jimmy in ihrer berechnenden Kaltblütigkeit so ähnlich, dass sie sich zwangsläufig hochschaukeln in ihrer gewalttätigen Vorgehensweise bis einer von ihnen aus der Bahn geworfen wird. Seine Altersfreigabe ab 18 hat “Election 2” also unzweifelhaft verdient.

Einer gewissen Stilisierung seiner Gangster entgeht auch Johnnie To nicht, wenn er die zumeist wortkargen Männer an der Kamera vorbei ins nichts blicken lässt wie Westernhelden, die auf das nächste Duell warten. Dass der Regisseur ein Meister darin ist, auf einer schwarzen Leinwand die Gesichter seiner Figuren mit präzise gesetzten Lichtpunkten  aus dem Dunkel heraus zu schälen, sorgt auch nicht gerade für eine realistische Ästhetik. Diese zuweilen expressionistische Herangehensweise ist am Ende, nach all dem vergossenen Blut und der erlebten Abgründe menschlichen Machtstrebens, aber eine angebrachte Wahl. Tos Leistung liegt schließlich weniger im Realismus als in seiner unsentimentalen Herangehensweise an das organisierte Verbrechen Hongkongs.

Mit dem steigenden Einfluss der Volksrepublik sind die Zeiten endgültig im Wandel begriffen. ‘Früher war nicht alles besser’, sagte uns “Election”. ‘Die Vorzüge der Zukunft werden teuer erkauft’, ist die Weisheit der Fortsetzung. Johnnie Tos im Gewand eines Thrillers daher kommende Verweise auf das Hongkong nach dem 1. Juli 1997, die weder das Gestern noch das Morgen glorifizieren, lassen “Election 2” über unzählige Triadenfilme der ehemaligen Kronkolonie und auch seinen Vorgänger obsiegen. Rund zehn Jahre vorher hatte Simon Yam schon mal einen ruhigen, gerechten Boss in  der erfolgreichen “Young and Dangerous”-Reihe gespielt. Johnnie To reißt in Election 2 diesem viel zu netten Kerl die sympathische Maske vom Gesicht und fördert eine machtgierige, hässliche Fratze zu Tage.


Zum Weiterlesen:
Kritiken zum Hongkonger Kino und natürlich Election.