Wollmilchcast #38 – Ready Player One (mit Gast: Sascha Brittner von PewPewPew)

Ready Player One IOI Autos

Im Januar hatten wir anlässlich von Die Verlegerin  ausführlich über die Filme von Steven Spielberg gesprochen. Als Sequel folgt jetzt der Podcast über die Verfilmung von Ernest Klines Ready Player One (ein MovRPG?). Matthias von Das Filmfeuilleton und ich können diesmal Sascha Brittner im Wollmilchcast begrüßen, der bei PewPewPew bloggt und im Podcast Kulturindustrie zu hören ist. Dabei diskutierend wir unter anderem, warum ausgerechnet Ready Player One einer der deprimierenderen Filme Spielbergs geworden ist. Viel Spaß!
Shownotes:

Hört euch die Wollmilchcast-Folge an:
Bei Audiomack oder hier im Blog:

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Intro und Outro: Kai Engel – Slum Canto (aus dem Album Sustains)
Nutzung im Rahmen der CC BY 4.0-Lizenz. (Homepage des Künstlers)
Copyright Titelbild: Warner Bros.

Wollmilchcast #30 – Die Verlegerin und die Spielfilme von Steven Spielberg

Die Journalisten blicken auf die Pentagon Papers
Zwei Filme von Steven Spielberg starten dieses Jahr in den deutschen Kinos. Den ersten haben wir zum Anlass genommen, um auf sein Werk zurückzublicken (was nicht bedeutet, dass wir beim zweiten anders verfahren). Im 30. Wollmilchcast von Matthias von Das Filmfeuilleton und meiner Wenigkeit sprechen wir über die Publizisten-Ode Die Verlegerin (OT: The Post) mit Meryl Streep, Tom Hanks und einem Keller voller bizarrer Perücken. Nach dieser Sektion des verfilmten Pentagon Papers-Skandals erweitern wir unseren Blick, diskutieren Konstanten im Spielfilm-Werk von Spielberg und teilen schlussendlich (und beinahe wagemutig) unsere jeweilige Top 5 der besten Filme des Regisseurs.
Zum Jubiläum gibt es ein Intro, ein neues Bildchen und Überlänge als Bonus.

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Matthias’ Blog: Das Filmfeuilleton.de
Jennys Blog: the-gaffer.de

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Intro und Outro: Kai Engel – Slum Canto (aus dem Album Sustains)
Nutzung im Rahmen der CC BY 4.0-Lizenz. (https://www.kai-engel.com/)

Produktion: Jenny Jecke & Matthias Hopf

Super 8 (USA 2011)

Super 8 Poster

Alles ist da und irgendwie nicht. Viel wurde über das nostalgische Potenzial von J.J. Abrams Super 8 geschrieben, doch positive Etiketten wie das der “Hommage” verpuffen schon nach wenigen Minuten bei der Entgleisung und Explosion eines Zuges in den Ebenen Ohios. Da können die Kids zuvor noch so oft mit ihren BMX-Rädern rumkurven, Konflikte mit ihren Eltern brodeln lassen und wie halb so große Versionen von Dawson Leery ihre Leidenschaft zum Film pflegen. Bei diesem für den Plot so entscheidenden Zugunglück wird der Zuschauer an den Haaren aus seinen Kindheitserinnerungen gerissen, um fortan wieder hinein gestopft, herausgerissen, hineingestopft zu werden. Das ist das Gefühl, “Super 8” zu sehen. Man glaubt sich in einem Werk eines besseren Regisseurs wieder zu finden, um dann doch wieder gekniffen zu werden, aufzuwachen und zu erkennen, dass dieser Film “nur” von einem stillosen Vertreter namens J.J. Abrams gedreht wurde, der statt Staubsauger, hochwertige kinematografische Imitate verscherbelt. “Super 8” ist nicht das viel gepriesene Sommerkino unserer Kindheit. Das gibt es nicht mehr, außer in beschönigten Erinnerungen und so ist es mühselig und fruchtlos in einem, diesem Film dabei zuzuschauen, wie er verzweifelt versucht, ein anderer sein. Denn J.J. Abrams hat mit Super 8 – und das offenbart sich eben schon bei besagtem Zugunglück – einen für die 2000er Jahre kalkulierten Blockbuster gedreht, keinen für die 70er, auch keinen für die 80er. Das aus diesem Mischvorgang der erinnerten Vergangenheit und der Anforderungen der Gegenwart entstandene Stück Film findet weder hier, noch dort festen Halt, wird schließlich von den Energien auseinandergerissen, die es hier und dort verwurzeln wollen.

Die Liste der Nachrufe auf das moderne Blockbusterkino ist lang und so stürzt man sich freudig auf einen neuen Film, der wie damals sein soll, der den frühen und nicht mehr ganz so frühen Spielberg präsent machen will, besser noch als es eine DVD von “E.T.” könnte. Ist das gegenwärtige Hollywood-Kino schon so tief unter der Erde, six feet under gewissermaßen, dass man sich als Liebhaber der amerikanischer Mainstream-Kost in die undurchdachte Simulation flüchten muss? Aus Abrams Holodeck hallt laut der Ruf JA und so liefert er uns den jugendlichen Protagonisten mit der zerrissenen Familie, das nicht weniger einsame Alien und die lustigen Kumpels. All das angesiedelt in einer Vorstadt, vollgepackt mit dem wissenden Gezwinker in Richtung früherer Filme des Executive Producers und eigentlich müsste der korrekt erzogene Spielbergianer freudig in seinem Kinosessel herumwippen. Das will uns zumindest Abrams Nachäffen von Shot-Kompositionen und inhaltlichen Motiven seines Mentors glauben machen. Deswegen hat Super 8 zuweilen etwas von einem Jahrmarktsartisten, der einem auf die Hand schaut und erzählt wie das früher war, als wir “Die Goonies”, “E.T.” und “Jurassic Park” zum ersten Mal gesehen haben. Was nützen unsere Erinnerungen aus dem Mund eines Fremden? Was nützt letztendlich eine aufgesetzte Referenzsammlung, die sich dermaßen darum bemüht, andere Zeiten heraufzubeschwören, dass sie es verpasst, selbst erinnerungswürdig zu sein, selbst einprägsame Einfälle zu produzieren, echte Emotionen heraufzubeschwören?

Wenn der Zug zu Beginn von Super 8 in einer vollkommen übertriebenen Spektakel-Situation entgleist, durch die Gegend fliegt, explodiert und unseren Protagonisten wie in einem Leslie Nielsen-Film zu verfolgen scheint, hat das nichts mit Spielberg zu tun und alles mit dem jüngeren amerikanischen Blockbusterkino. Das ist aber nicht tot, verändert sich höchstens, genau wie sich Steven Spielberg in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat. Den Mann, der “Die unheimliche Begegnung der dritten Art” drehte, gibt es nicht mehr, stattdessen müssen wir uns mit dem “Krieg der Welten”- und “München”-Spielberg begnügen und mit dem allein haben wir schon alle Hände voll zu tun. Davon werden die Reminiszenzen an Sonntagnachmittage im Familienkreis mit der VHS von “E.T.” nicht geschmälert. Das ist eben so. Die Zeit schreitet voran. Das Kino ebenso. Die Erinnerungen bleiben. Das macht uns aus. Das macht das Kino aus.


Zum Weiterlesen:
Die gesammelten Kritiken zum Film bei Film-Zeit.de.
Ein kleiner Text von mir zum Kino der Nostalgie bei moviepilot.

Diary of the Dave #4

Der Traum eines jeden Möchtegerne-Schriftstellers besteht wohl darin, nach einer orgiastisch-bacchanalischen Party nach Hause in sein Drecksloch zurückzukehren und über das Erlebte, und natürlich über sein Weltschmerz zu schreiben. Alles natürlich bei einem kühlen Bier. À propos… Ahh… Wicki!!!

Wie dem auch sei! Mit Wein, Cola, Chips, Schokolade, Zigaretten und einem Kugelschreiber (spitzer Gegenstand!) bewaffnet bin ich zum Bus gegangen, der mich zum Ort der Vorführung bringen sollte. Wie voll der Bus war. Vor allem mit lauter Mamis (und auch vielen Papis) mit ihrem Nachwuchs und entsprechenden Lokomotionsmitteln (Kinderwagen im Volksmund). Um etwa 18.26 (könnte auch 24 oder 28 gewesen sein) stand ich vor den Räumen von CampusTV. Avantgarde zu sein ist an sich cool, nur dass man dann halt oft auf die anderen, die Nachzügler, die Nachhut warten muss. Aber nicht schlimm. Die anderen Cinephilen trudelten auch ein und wir konnten endlich mit dem Indiana Jones Triple Feature beginnen. Aber natürlich erst, nachdem wir in einem komplizierten Verfahren (Demokratie? Basisautokratie?) unsere Auswahl für das Pizza-Dinner getroffen hatten. Und nach dem Anstoßen auf die gelungene Jobsuche Judiths mit einem Cassis-Prosecco.

Ich hatte bisher nur den dritten Teil vor langer, langer, sehr langer Zeit geschaut. Bruchstücke waren haften geblieben: der Typ der am Schluss im Schnellverfahren altert und wegfault (wie gesagt: sehr lange… ich war noch jung und leicht zu erschrecken), den Einsatz des Regenschirms zur Bekämpfung angreifender Kampfflugzeuge durch Sean Connery, die enge Vater-Sohn-Beziehung, symbolisiert durch Aneinander-auf-Stühlen-angebunden-Sein, während ringsum alles in Flammen aufgeht und die Tatsache, dass die Nazis die Bösen waren. Letzter Punkt hat übrigens beim zweiten Teil irgendwie gefehlt… wie übrigens auch eine kohärente Story. Nun ja… kohärent? Indiana Jones und der Tempel des Todes, kurz gesagt, hat mir am wenigsten gefallen, was auch nicht damit zusammenhing, dass ich meine Pizza zu dem Zeitpunkt schon fertig gegessen hatte. Viele Gags waren etwas ephemer, vom etwas merkwürdigen Bild, das vom Essverhalten der Inder gezeichnet wird, mal ganz abgesehen. Indisches Essen ist nämlich awesome! Ich war übrigens der Meinung, dass der gehirngewaschene Indy sein wahres Ich gefunden hatte: er genoss – zu Recht – wie die hysterische Frau mit der nervenden Stimme langsam in die Lava heruntergelassen wurde. Willie war wirklich das schlechteste Indy-Girl! Die Brücken-Szene gab aber eine ganz neue Perspektive über die Schaukelbrücke im Weimarer Goethe-Park, obgleich, glaube ich, keine Krokodile in der Ilm schwimmen (darüber sollte man nachdenken). So… damit hätten wir glaube ich den schwachen zweiten Teil der Serie besprochen.

Jäger des verlorenen Schatzes und Der letzte Kreuzzug haben eigentlich so ziemlich alles, was ein Film für einen unterhaltsamen Abend mit Freunden, Wein, Chips, Pizza und schwarzem Kaffee so braucht: gute Action, hohes Tempo, Witz und Ironie, ein Held mit Lederjacke, Hut und Peitsche (besser als McGyver mit schweizer Taschenmesser und… Vokuhila), schöne Frauen, Gewalt, Schlangengruben, Cameos, tolle Locations die mit impressionistischen Totalen verarbeitet werden können, Sonnenuntergänge, Sean Connery (nun ja, eigentlich nur der dritte), böse gemeine fiese stinkende lederbemäntelte Nazis, die Deutsch mit amerikanischem Akzent sprechen und am Schluss (spätestens) weggerotzt werden, Schweiß, Blut, Explosionen, Verfolgungsjagden… Hab ich eigentlich schon die Nazis genannt: „Ihr solltet aufhören, Bücher zu verbrennen und sie vielleicht mal lesen“!

Als Historiker müsste ich natürlich was zur Darstellung von Geisteswissenschaftlern in Filmen sagen. Interessant, wie Indy zwischen dem biederen, etwas verklemmten, langweiligen Professor (oder zumindest Dozent) für Archäologie, der mit überdimensionierter Brille (sie wird mit jedem Film größer) und einem Stock im Arsch durch die Gegen wuselt und dem Abenteurer mit Hut, Peitsche und Lederjacke, der spannende (und manchmal potentiell tödliche) Rätsel löst, Leute wegrotzt, Grabschändungen begeht und seinen gestählten Körper für alle möglichen Stunts einsetzt, hin und her springt (hui! langer Satz!). „Das gehört ist Museum!“ „DAS GEHÖRT INS MUSEUM!“ Also ganz ehrlich: ganz ethisch geht er seinem Beruf nicht immer nach (siehe vor allem die body count). Dafür aber cool!

Die völlig entgrenzte Begeisterung für Quellen (i. w. S.) die eigentlich keinen normalen Menschen interessieren (Inschriften auf Schildern, mittelalterliche Kirchenfensterkunst, Kleenex-Fragmente mit irgendwelchen indischen Gottheiten und Halbgottheiten etc.) kann ich aber durchaus nachvollziehen. Dass nicht jedem vor dem Protokoll einer Dorfversammlung in der russischen Pampa während der Revolution das Wasser im Mund zusammenläuft, werde ich wohl vielleicht noch schnell genug merken. (Es ist trotzdem WAHNSINNIG spannend!)

Der Abend endete um 1.30 Uhr morgens. Etwas unglamourös wurde noch der Müll eingesammelt, leere Flaschen beiseite gestellt, angebrochene Chipstüten eingepackt und der Schlüssel beim Pförtner in seiner schalldichten Kabine gebracht. Ins Stadtzentrum laufen, zwei Zigaretten, ein Bier, ein bisschen was schreiben. Und schon hat man einen glücklichen Tag hinter sich. Und eine hoffentlich erholsame, wenn auch nicht besonders lange (Rest-)Nacht vor sich…

Krieg der Welten (USA 2005)

Terror

Als Krieg der Welten vor rund fünf Jahren in die Kinos kam, habe ich ihn bewusst boykottiert. Der Held meiner Jugend, der mich einst mit abenteuerlichen Archäologen und majestätischen Urtieren zur Filmkunst bekehrt hatte, war nicht mehr der Alte und diesen Tom Cruise-Streifen hatte Steven Spielberg sowieso nur gemacht, um einen Freifahrtschein für “München” zu erhalten. So wie damals sein Kollege Martin Scorsese seinen ersten Blockbuster “Kap der Angst” gedreht hatte, um den  Studiobossen den Skandalstoff “Die Letzte Versuchung Christi” abzuringen. Dass ein Spielberg so einfach nicht unter den Tisch zu kehren ist, zeigte sich drei Jahre nach Kinostart an einem Sonntag im Februar. Da erlebte das alien invasion flick seine von allerlei Werbung unterbrochene Free TV-Premiere und aus irgendeinem Grund – lief nichts besseres bei Arte? – habe ich den Film gesehen. “München” hatte mir den Glauben an die grundsätzliche Möglichkeit herausragender Spielberg-Filme im neuen Jahrtausend wiedergegeben. Er hatte eingeschlagen damals in dem fast leeren Kinosaal, wie ein Film eben einschlägt, den man allein sehen muss. Diese Wellen wogen bis heute und jener Sonntagabend brachte sie erneut in Unordnung.

Die Erwartung: Ein besserer Emmerich. So tief war der Stern des einst Unantastbaren schon gesunken. Stattdessen bekam ich ein schwer verdauliches disaster movie voll von 9/11-Referenzen und aus dem Nichts kommenden Bildern des Horrors zu sehen, in ihrer Surrealität erinnernd an einen anderen Film des New Hollywood-Kollegen Scorsese – “Shutter Island”. Als Reaktion auf die Terroranschläge an jenem Dienstag im Jahr 2001 wurde “Krieg der Welten” von der Kritik sofort verstanden, gescholten oder gelobt. Allzu offensichtlich scheinen die Analogien, derer sich Spielberg, ein selten durch Subtilität auffallender Regisseur, bedient. Jenseits der visuellen Gestaltung, über die noch zu sprechen sein wird, ist da natürlich das Motiv des Angriffs; des Angriffs auf eine sich in Sicherheit wiegende Zivilisation. “Krieg der Welten” ist zunächst einmal die Film gewordene Erschütterung, der schmerzhafte Weckruf aus einem sanften Schlaf. Tom Cruise, der unwahrscheinlichste aller Schauspieler für solch eine Rolle, ist der Surrogat nicht nur schockierter Amerikaner, sondern all jener Millionen, die damals vor dem Fernseher saßen, ihren Augen nicht trauen konnten.

Krieg der Welten
Abseits der narrativen Parallelen, die dem Genre eben zu eigen sind, besticht “Krieg der Welten” jedoch durch seine Bildsprache und findet gerade in dieser zu seiner leicht zu übersehenden Größe. Spielberg, das zeigt auch dieser Film, ist ein Mann für’s Grobe, einer, der keine verkopften Metaphern aufbaut, sondern seine Kunst stets im Affekt ausübt und seine Bilder entsprechend wählt. So muss das erste Gebäude, welches der Alien-Invasion zum Opfer fällt, natürlich eine Kirche sein. So muss Tom Cruise nach dem ersten Angriff nach Hause kommen, voller Staub auf Körper und Gesicht in den Spiegel blicken, dem Staub verbrannter Mitmenschen, gleich jenem, der sich nach dem Zusammensturz der zwei Türme über Manhattan legte. Doch “Krieg der Welten” ist nicht nur ein Film über eine Invasion, ein Film über den Terror, der ins beschauliche Heim einbricht. Im Mantel des disaster movies wird hier ein Trauma erneut durchlebt. Es ist, als würde man mit den Augen eines Menschen sehen, der die Bilder nicht vergessen kann, dem sich das Grauen unwiderruflich eingebrannt hat.

Zuschauen

“Krieg der Welten” ist ein Film über das Zuschauen und den Versuch, es zu unterbinden. Mehrmals – und hier sind wir wieder bei den berüchtigten Analogien – wird verwiesen auf die mediale Wiedergabe der Katastrophe. Zunächst im Hintergrund als Fernsehnachricht über mysteriöse Magnetstürme wandert das Geschehen Schritt für Schritt in den Bereich der Wahrnehmung, bis hin zur fallen gelassenen Videokamera, welche die Angriffe unbekümmert weiter aufzeichnet und dem Fernsehteam von CBS, auf welches Ray (Tom Cruise) schließlich neben einem Flugzeugwrack im Vorgarten seiner Ex-Frau trifft. Die Reporterin zeigt ihm Bilder der Invasion, die er längst kennt. Er hat schließlich alles mit eigenen Augen gesehen. Und wie er es gesehen hat! Über weite Strecken des Films macht Tom Cruise nichts anderes, als zuzusehen. Gefesselt von der Zerstörung, gefesselt vom grauenhaften Anblick, kann er seine Augen nicht abwenden, muss sehen, auch wenn die Folgen desaströs sind. Dementsprechend hängt sich Janusz Kaminskis Kamera in der ersten Hälfte des Films an seine Fersen und wiederholt mit ihm immer wieder die hin- und hergerissene Bewegung zwischen Hinschauen und Abwenden.

Als Ray nach Beginn der Invasion verstaubt nach Hause kommt, steht ihm der Schock ins Gesicht geschrieben und fortan zählt nur eines: Seine Kinder nicht dieselben Dinge sehen zu lassen. Ebenso wie Cruise, von jeher eher passiven Gefäß als Emotionsbündel, überzeugt Dakota Fanning aus heutiger Sicht in der ihr zugewiesenen Rolle. Ohne kleine Kinder aus gescheiterten Ehen kommen Spielbergs Filme sowieso selten aus. Mit ihren großen runden Augen und den stets emotionalisierten Gesichtszügen hat Fanning nicht zuletzt nach diesem Film viel unverdienten Zuschauerhass auf sich gezogen. Zugleich bildet sie in ihrer Zerbrechlichkeit ein notwendiges Gegengewicht zum versteinert wirkendem Superstar. So sehr dieser als Vater Ray es jedoch zu verhindern sucht, so unausweichlich ist das Sehen auch für ihre unschuldigen Augen. Mehrmals weist er sie an, nicht hinzuschauen, als um sie herum die Welt sprichwörtlich in Flammen aufgeht, hält ihr die Augen zu, verbindet sie an einer entscheidenden Stelle sogar. Doch es ist ein vergeblicher Kampf. Nachdem sein Sohn angezogen vom Unheil (“Ich muss das sehen!”) verloren geht, verliert im blutigen Finale des Films auch Tochter Rachel den unschuldigen Blick, ist fortan gezeichnet.

Wurden die Augen und das Sehen bereits in “Minority Report” zur Gefahr, welche den Held (wiederum Tom Cruise) sogar dazu brachte, sich andere einsetzen zu lassen, zeugt “Krieg der Welten” von den Wunden, die das Gesehene in der Psyche eines Menschen schlagen kann. Wie kaum einem anderen Mainstream-Regisseur gelingt es Spielberg hier, der (Schau-)Lust an der Katastrophe die Folgen derselben gegenüber zu stellen. Anders als etwa in “Independence Day”, indem eine gute Zigarre alle Toten vergessen macht, ist “Krieg der Welten” in jeder Einstellung Zeugnis einer nachhaltigen Verstörung. In dem Moment, in dem der erwachende väterliche Beschützerinstinkt ihn zum Mord treibt, versucht Ray, seiner kleinen Tochter das Schrecklichste zu ersparen. Er bindet ihr die Augen zu. Trotzdem steht im Nachhinein fest: Nichts wird mehr so sein, wie es war.  Während das amerikanische Disasterkino stetig darum bemüht ist, dem Zuschauer diese Wahrheit aus der Erinnerung zu löschen – nur so macht Zuschauen Spaß – treibt Spielberg das Genre mit Hilfe des gebrochenen Helden Tom Cruise und der kleinen, großäugigen Dakota Fanning an die Grenzen der Massentauglichkeit.Trauma

Man könnte meinen, dass dem Motiv der Alien-Invasion nach so vielen Jahren Filmgeschichte nicht mehr viel neues hinzuzufügen ist. Zweifellos ist “Krieg der Welten” auch ein Versuch eines Meisters, das ihm aus der Hand genommene Zepter mit einer Klassikerverfilmung zurück zu gewinnen. Zur Erfassung der visuellen Komponente von “Krieg der Welten” reicht dieses Argument allein dennoch nicht aus. Hilfreich ist dafür u.a. ein kurzer Blick auf Spielbergs andere Auseinandersetzung mit dem Terror, den bereits erwähnten “München”. Dieser beginnt mit und wird eingerahmt von einem Anschlag und erzählt parallel vom Preis der Vergeltung desselben. Betrachtet man nun den teuren Blockbuster und das kleine Herzensprojekt als filmisches Paar unabhängig von den genannten pragmatischen Beweggründen ihrer Entstehung, stellen beide sinnige Ergänzungen des jeweils anderen dar. Kurz gefasst: “Krieg der Welten” bebildert ein Trauma, “München” befasst sich mit dem Danach. Zu betonen ist hierbei, dass ersterer bereits von einer Verinnerlichung der Schreckensbilder ausgeht. Die oben angesprochene Surrealität einiger Situationen spricht für eine Stellung  der Geschehnisse an der Grenze zwischen Traum und Realität.

Verdunkelt in “Independence Day” das gigantische Alien-Schiff den kalifornischen Himmel, wird die Bedrohung in “Krieg der Welten” ausgerechnet mit dem Licht assoziiert. Die Macht über das Licht, dieses stets übersteuert und unwirklich glänzend, wird mit Beginn des Angriffs den Invasoren zugewiesen. Auf Blitze folgen die schrecklichen Strahlen, welche Menschen sprichwörtlich zu Staub zerfallen lassen und auch nachts ist Rays Familie vor den Scheinwerfern der Tripods nicht sicher. Das Spiel mit dem Licht – naturgemäß untrennbar mit dem Sehen verbunden – verleiht dem Film in einem ersten Schritt seine verträumte Atmosphäre. Kombiniert mit den surrealistischen Bildern des massenhaften Sterbens erzeugt “Krieg der Welten” eine Ästhetik, die sich weniger dem wirklichen Erleben annähert. Vielmehr gleicht sie der  schweißgebadeten Gefangenschaft in einem Albtraum. Wenn Dakota Fanning, vom Glitzern der Wasseroberfläche beleuchtet, an einem Fluss steht, auf dem zahllose Leichen vorbei treiben oder die Familie durch einen Wald läuft und plötzlich die Kleidung Getöteter auf sie herab regnet, verlässt der Film das gewohnte Terrain des Genres.
Seinen Höhepunkt erreicht Spielbergs “9/11-Albtraum” mit der visuellen Offenlegung der hinterlassenen Wunde (griech.: Trauma) und dem abschließenden Verlust jeglicher Unschuld. Auf mit Blut gedüngte Felder blickt Ray in einem Moment. Das Motiv selbst geht auf die Vorlage von H.G. Wells zurück. Als Metapher für den Kolonialismus des britischen Empires gedacht, erlangen die Blutpflanzen im Kontext der Spielberg’schen Adaption eine ganz neue, emotionale, geradezu apolitische Konnotation. Zugleich sind sie die Verkörperung eines einschneidenden Traumas, aus dem in “München”  gewissermaßen der Drang nach Rache geschöpft werden wird. Rachel, auf einer blutigen Wiese stehend (ein grausam schönes Bild!), kann nicht anders, sie muss ins Licht blicken, in das Licht des Tripods. Zwar wird Ray in einem letzten Akt des Erwachsenwerdens (es ist ein Spielberg-Film!) seine Tochter aus den Fangbeuteln des Tripods befreien und diesen gar zur Strecke bringen. Das Gesehene zu verarbeiten, bleibt für alle Beteiligten eine Aufgabe, die Offscreen erfüllt werden muss.