Che – Revolución (USA/E/F 2008)

Ein Handwerk, das ist die Revolution. Man übt diesen Job eben aus. Die Bezahlung? Für die einen vielleicht der Sieg. Für die anderen die Selbstverwirklichung in der konkreten Tat. Die quälende Wanderung durch den Dschungel, die sich stetig wiederholenden, motivierenden Reden vor der Truppe. In ihrer Ritualisierung stehen sie den ausgiebig eingefangenen Begrüßungen zwischen den Revolutionären in nichts nach. Zwei Kompanien treffen sich wieder. Che geht die Reihen durch, jeden seiner Kameraden umarmt er. Äußerlich wohl ein Zeichen der Freundschaft, ist das alles Teil des Jobs. So wird der Zusammenhalt innerhalb der Truppe sichergestellt, wie auch der für das Gelingen der Revolution unabdingbare Rückhalt in der Landbevölkerung mit der persönlichen Geste, dem Handschlag, zementiert wird. Wieder muss unter den Bewerbern aussortiert werden. Wieder die Fragen: Wer hat eine Waffe? Wer kann lesen und schreiben? Wie alt seid ihr? Die Revolution als Fließbandarbeit, welche sich durch immer gleiche Handgriffe und Gesten auszeichnet.

Che – Revolución ist kein Drama, kein Biopic, sondern unbeteiligte Beobachtung. Stirbt einer der bewaffneten Kämpfer, verweigert der Film die Stilisierung des Moments als tiefen Einschnitt in der Geschichte, denn es gehört eben dazu, genau wie das Nachladen, das Schwitzen und das Warten. Eine ‘Geschichte’ will “Che” wohl auch gar nicht erzählen, denn es fehlt die gewöhnliche Dramaturgie, dank der Abwesenheit von konstruierten Höhe- und Wendepunkten. “Che” erzählt nicht, es wird stattdessen der Ablauf der Revolution beobachtet, inbegriffen die Distanzierung und tendenzielle Unübersichtlichkeit, die solch ein filmisches Vorgehen eben mit sich bringt. Wann immer – das ist glücklicherweise selten – der Film in Versuchung gerät von der Unpersönlichkeit abzuweichen, stechen ein paar Sekunden oder wenige Minuten grell heraus aus dem atmosphärisch unterkühlten, selbst in seinen bunten Phasen wie ein schwarz-weiß-Film wirkenden Prozedere.

Über Motive will man etwas erfahren und über die Psychologie hinter dem Mythos, der in den letzten Jahrzehnten zur rot-schwarzen Schablone verkommen ist. Wie tickt denn so ein Großer der Geschichte? Wenn auch viel geredet wird über die Grundlagen einer Revolution und des Guerilla-Krieges, ist das Bild des schwer atmenden, von einem Asthma-Anfall geplagten Revolutionärs auf seinem mühsamen Weg durch die Sierra Maestra an Aussagekraft über sein Dasein unübertroffen. Tiefschürfende Psychologisierung wäre in den 134 Minuten nur ein störender Fremdkörper. Warum geht Che nach Kuba? Er will die Welt verändern. Hat er es geschafft? Ja. Wie ist’s abgelaufen? Schaut es euch an.

Benicio Del Toros Che ist ein charismatisches Konglomerat aus ideologischen Grundsätzen und Taten. Es ist nicht das Abziehbild der Ikone, kein vom Sockel gestürzter erbärmlicher Schatten und erst recht nicht der posierende Held, dem man dramaturgisch manipuliert zujubelt, mit dem man sich – wie sagt man so schön – ‘identifiziert’. Er ist ein Revolutionär, der seiner Arbeit nachgeht und revolutioniert. Er kämpft, redet, hustet, verhandelt und befolgt die Befehle seines Vorgesetzten, Fidel Castro. Noch erreicht er sein Ziel, doch irgendwann im zweiten Teil dieser Produktionshistorie, wird das Fließband stocken, wird er beim Zusammensetzen seiner zweiten Revolution nicht hinterher kommen und schließlich ins Leere greifen. Nach Che – Revolución will ich das Scheitern im Job auch sehen.

Tequila war gestern

So sieht er also aus, der große Konfuzius. Die Biopics über Laozi, Mengzi und Xunzi lassen bestimmt auch nicht lange auf sich warten. Ist ja immerhin besser als “Dragonball: Evolution”. Oder “Fluch der Karibik 3.” Oder “Bulletproof Monk”.

Abgesehen von dieser Erkenntnis, stellt sich mir doch die Frage: Wo bleibt das dreistündige Epos über Immanuel Kant? Hauptrolle: Ulrich Tukur. Das 90-minütige Actionspektakel über Georg Wilhelm Friedrich Hegel? Am besten mit der catchphrase “Mein Name ist Hegel. Georg Wilhelm Friedrich Hegel”. Hauptrolle: Till Schweiger. Regie: Uli Edel. Das könnten die sogar in Jena drehen! Von Theodor Wiesengrund Adorno und einer 3D-Verfilmung der “Dialektik der Aufklärung” fange ich gar nicht erst an. Das bleiben wohl Träume.

(via)

Süße Kätzchen kann jeder

Wie schaffen die das nur immer wieder, die Sache mit dem Lächeln auf dem Gesicht? Allen, die eins wollen, nenne ich nur zwei Wörter: Pixar + Kurzfilm.

(via)

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It's a Mad Mad Mad Scorsese

Es ist ja immer zu begrüßen, wenn Hollywood und erst recht Martin Scorsese zur Abwechslung mal keine Remakes von besseren asiatischen Filmen in die Kinos bringt, doch ganz besonders wird das Fan-Herz von frohen Erwartungen erfüllt, wenn ein Meisterregisseur mal etwas neues ausprobiert. Basierend auf dem Roman von Dennis Lehane (“Mystic River”, “Gone Baby Gone”) erzählt sein neuer Film Shutter Island von zwei U.S. Marshalls (Leonardo DiCaprio und Mark Ruffalo), die in den 50er Jahren seltsame Geschehnisse in einer Psychiatrie auf einer abgelegenen Insel untersuchen müssen.

Deswegen wirkt der Anfang des nun veröffentlichten Trailers auch wie “Fluch der Karibik 4”, aber davon sollte man sich nicht täuschen lassen. “Shutter Island” scheint handfeste Psycho-Thriller-mit-B-Picture-Anleihen-Kost zu sein, und kommt ganz ohne Mafiosi und Jack Nicholson aus. Neben Ruffalo und DiCaprio werden sich u.a. – und das macht den Film umso vielversprechender – Emily Mortimer, Ben Kingsley, Jackie Earle Haley, Michelle Williams und Patricia Clarkson die Ehre geben. An dieser Stelle verzichte ich sogar auf das übliche Leo-Dissing, weil er zumindest im Trailer ausnahmsweise mal nicht deplatziert oder nervig wirkt.

“Shutter Island” startet am 8. Oktober in den deutschen Kinos. Den Trailer gibt es auch hier als YouTube-Version.

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Die Roten Schuhe (GB 1948)

Das abgelegene Kloster im Fantasie-Himalaya in “Schwarze Narzisse”, der schwarz-weiße Himmel, den eine symbolische Treppe mit der Welt der Lebenden in “Irrtum im Jenseits” verbindet und die Untiefen der Psyche des Serienmörders Mark, welche in “Peeping Tom” ergründet werden.

Mit und ohne seinen Partner Emeric Pressburger ist die Realität, in die Michael Powell seine Figuren versetzt, oft genug relativ. Zwischenwelten tun sich da plötzlich auf, gegen deren häufig fatalen Sog sich die Männer und Frauen erwehren müssen, mal erfolgreich, mal zum Nachteil der eigenen geistigen Gesundheit.

In Die Roten Schuhe ist es die Kunst. Sie droht die Ballerina Vicky (Moira Shearer) zu entführen aus dem wirklichen Leben, das zunehmend außer Reichweite gerät. Vickys Traum geht in Erfüllung als sie der berühmte Impresario Boris Lermontov (Anton Walbrook) in sein Ensemble aufnimmt. Bald spielt sie die Hauptrolle in Andersens “Die Roten Schuhe” und wird vom Publikum gefeiert. Vicky verliebt sich in den aufstrebenden Komponisten Julian Craster (Marius Goring), doch der obsessiv veranlagte Lermontov, dem das Ballett alles, das Leben nur ein Störfaktor ist, stellt sie vor die Wahl: Entweder sie gibt die Beziehung auf und wird zum Star der Ballettwelt oder die Arbeit im Ensemble – ihr Traum – ist für sie Geschichte.

Die roten Schuhe trägt Vicky streng genommen schon bevor sie von ihrem Mentor entdeckt wird. Auf die Frage, warum sie tanze, antwortet  sie schließlich herausfordernd “Warum leben sie?”. Die wunderbaren Schuhe, die das Mädchen in Andersens Märchen dazu zwingen, bis zur Erschöpfung, bis zum Tode weiter zu tanzen, ihr Rot hat man vor diesem Film noch nie gesehen.  In seiner fatalen Verführungskraft erinnert es an den Lippenstift, den sich die verrückt werdende Schwester Ruth im Finale von Schwarze Narzisse über die Lippen zieht. Es ist dort die Verlockung der Sinnlichkeit, hinter der sich Abgründe einer unrettbar verlorenen Seele verbergen. Es ist hier die Verheißung von Ruhm, Ehre und dem vollkommenen Aufgehen  und Verlust des Selbst in der künstlerischen Tat.

Powell und Pressburger waren Magier in der Komposition von Farbe und Bild, nicht zuletzt dank ihres Kameramanns, dem im April verstorbenen Jack Cardiff und in “Die Roten Schuhe” haben sie sich in formaler Hinsicht selbst übertroffen. Den visuellen wie künstlerischen Höhepunkt nicht nur dieses Films, sondern des Tanzfilms generell, bildet die rund 17-minütige Erzählung der Geschichte-innerhalb-der-Geschichte – die Aufführung der “Roten Schuhe”. Das konventionelle Abfilmen der Bühnengeschehnisse, die daraus resultierende fundamentale Trennung zwischen der Erzählebene im Stück und derjenigen des Films überwinden P&P, in dem sie zunächst wie schon Busby Berkeley bei seinen Musicaleinlagen, das Kameraauge von der Zuschauerperspektive befreien und mitten auf der Bühne platzieren. Daraus folgend wird die Geschichte des Märchens in der Diegese (der Filmwelt) als gleichwertig behandelt. Anders gesagt: Die Fesseln des Theaters werden abgelegt.

Dank noch heute beeindruckender Special Effects eröffnet sich ein Tor in die grausame, von Hans Christian Andersen erdachte Fantasiewelt. Da tanzt das Mädchen in Zeitlupe nachts durch den von Menschen verlassenen Jahrmarkt, ihre einsame Selbstverlorenheit eindringlich auf eine Weise, von der moderne Filmemacher nur träumen können. “Träumen” ist das richtige Wort für die gesamte, den Zuschauer sprachlos zurücklassende, Sequenz. Die umher gleitende Kamera scheint der einzige ständige Begleiter dieses Mädchens, das keine Ruhe finden kann und von den Schatten der dunklen, zunehmend sich zur Traumwelt wandelnden Stadt zum Weitertanzen gezwungen wird. Es ist dies ein Tanz, der nicht nur die pure, schöne Attraktion (wenn er darin auch sehr erfolgreich ist), sondern Mise en abîme, ein Spiegel der Filmhandlung, ist. Ein Kondensierung der Handlung auf wenige magische, märchenhafte Minuten; eine, die so weit in die restliche Story verzahnt ist, dass schlussendlich beide Ebenen ineinander übergehen und die vormalig auszumachenden Grenzen verschwimmen.

Dermaßen sticht hier technische Meisterleistung und gekonnte stumme Erzählung hervor, dass der restliche Film demgegenüber an Wirkung einbüßen muss. Immerhin eine Stunde dauert es, bis das Ballett zum Hauptdarsteller wird, denn Powell und Pressburger schenken dem Zuschauer bis dahin nur winzige Appetithäppchen, welche weder den Hunger nach der erwarteten P&P-Zauberei stillen können, noch sollen. Ohne den Auftritt Anton Walbrooks erschiene diese erste Hälfte wohl als unbedeutende seichte Tänzergeschichte.

Walbrooks dämonischer Charme verleiht dem besessenen Lermontov die Aura eines charismatischen Schattenwesens, das seine Tänzer aus der Realität entlockt und sie wie Blinde am Rande einer bodenlosen Kluft zurücklässt. Die glänzenden Augen, die seinem Theo in Leben und Sterben des Colonel Blimp noch eine tiefe Melancholie verliehen hatten, glimmen nun gefährlich, wann immer er die Macht über seine tanzenden Marionetten zu verlieren droht. So mysteriös wie die Welt des Märchens verzaubert dieser Magier der wirklichen Welt die zweite Hälfte des Films, findet sich Vicky wie auch der Zuschauer in seinem Bann wieder.

Dieser Lermontov lebt nicht nur das Ballett, er ist Ballett. Seine eleganten tänzelnden Bewegungen, der geschwungene melodische Akzent; das sind die Zutaten seines existenzbedrohenden Sirenengesangs. Er ist Michael Powell, der seine Zuschauer mit wunderschönen Bildern anlockt, manchmal gnädig ist, die Schönheit bewahrt und manchmal den Vorhang des Scheins fallen lässt; seine Zwischenwelten als alptraumhafte Labyrinthe entlarvt und dennoch folgt man seinem filmischen Gesang immer wieder gern.

[Erstmals veröffentlicht in der OFDb am 08. Juni ’09.]


Zum Weiterlesen:

 

Uralte Kritiken von mir zu den beiden P&P-Filmen Leben und Sterben des Colonel Blimp und Irrtum im Jenseits.